Frevel im Beinhaus
«Panacea hat nichts mit Theriak zu tun. Es handelt sich vielmehr um eine besondere Substanz, die man, ganz ähnlich wie den Stein der Transmutation, aus der Quintessenz eines oder mehrerer Stoffe gewinnt. Es gibt sogar Gelehrte, die der Ansicht sind, beides, Stein der Weisen und Panacea, seien ein und dasselbe. Merkwürdig, dass Thomasius ausgerechnet darauf kommt. Aber ganz gleich, was seine Gründe sein mögen – Panacea findet man nicht, indem man unschuldige Menschen tötet.»
«Er war der Ansicht, dass Ihr Euch möglicherweise höllischer Unterstützung versichern wolltet», erklärte Reese.
Neklas schüttelte nur den Kopf. Adelina hingegen blickte entsetzt zwischen den beiden Männern hin und her. «Ich verstehe das alles nicht. Die Alchemie ist doch nicht verboten, ob man nun dieses Panacea sucht oder – wie einst mein Vater – den Stein der Transmutation. Es heißt sogar, selbst der Erzbischof und sogar der König würden Alchemisten beschäftigen, die danach suchen sollen.»
«Ihr habt recht», antwortete Reese bedächtig. «Es ist nicht verboten – jedenfalls nicht, solange dabei keine Magie oder Schwarze Künste bemüht werden, nicht wahr? Wie ist Eure Meinung dazu, Magister Burka?» Reese war erneut vor dem Medicus stehen geblieben und sah erwartungsvoll auf ihn hinab.
Neklas verschränkte die Arme vor der Brust. «Ich gehe davon aus, dass, ob nun Stein der Weisen oder Panacea, beides der göttlichen Schöpfung entspringen muss. Somit kann ich weder das eine noch das andere jemals gewinnen, wenn ich mich satanischer Künste bediene. Das könnt Ihr mir glauben oder auch nicht.»
«Was ich glaube, spielt in dieser Sache leider nur eine untergeordnete Rolle», gab Reese zurück. «Wenn wir aber, da wir unter uns sind, einmal davon ausgehen, dass Ihr unschuldigseid, wüsste ich gerne, wer Eurer Meinung nach einen Grund haben könnte, Euch diesen Mord und den Knochenraub in die Schuhe zu schieben. Habt Ihr jemanden verärgert? Einen Neider oder Konkurrenten?»
Da Neklas wieder den Kopf schüttelte, blickte Reese auffordernd zu Adelina. Doch auch sie hob nur die Schultern. «Herr Reese, diese Fragen haben wir uns schon mehr als einmal gestellt und keine Antworten darauf gefunden. Sicher haben wir in der Vergangenheit den Ärger so mancher Personen auf uns gezogen. Von denen ist allerdings kaum noch jemand am Leben.»
«Vielleicht jemand aus deren Familien?»
Adelina runzelte die Stirn. «Das wäre möglich. Wenn jemand uns die Schuld an der Verurteilung seines Verwandten gibt, könnte er sich auf diese Weise rächen wollen. Woher aber soll dieser Jemand von Neklas’ Vergangenheit wissen? Und warum hat er so lange gewartet?»
Nachdenklich legte Reese den Kopf auf die Seite. «Diesen Fragen sollten wir in der Tat unsere Aufmerksamkeit widmen.» Er gab Pitter ein Zeichen, und dieser ging zu Neklas hinüber und forderte ihn mit einer Geste zum Aufstehen auf. «Für heute lassen wir es dabei bewenden», sagte der Gewaltrichter. «Ich werde sehen, was ich in Erfahrung bringen kann, insbesondere, was die Familien der aus Köln verwiesenen Patrizier angeht. Morgen sprechen wir einander wieder.»
Pitter führte Neklas hinaus, und Adelina wollte ihnen schon folgen, doch Reese hielt sie zurück. «Einen Moment noch», raunte er und winkte ihr, ihm die Treppe hinauf zu folgen. Im Erdgeschoss lauschte er kurz, dann flüsterte er: «Geht hinauf zur Zelle Eures Mannes. Pitter wird Euch einlassen und Euch einige Minuten Zeit geben.»
Verblüfft sah sie ihn an. «Ich soll alleine …?»
«Ich nehme an, Euer Gemahl traut mir nicht ganz oderhat andere Gründe, nicht offen mit mir zu sprechen. Ich bitte Euch, noch einmal mit ihm zu reden.»
«Ich soll ihn aushorchen?» Adelina hob ihre Augenbrauen.
Reese legte ihr beschwichtigend eine Hand auf den Arm. «Ich gehe selbst ein großes Risiko ein, wenn ich Euch zu ihm lasse. Man kann mir leicht eine Mittäterschaft daraus drehen. Aber wenn ich Euch helfen soll, müssen wir alles versuchen.»
Zögernd nickte Adelina.
«Also gut, dann geht jetzt hinauf. Ich muss jetzt fort, gebe aber dem Hauptmann Bescheid, dass Ihr gleich kommt.»
«Ihr wollt Greverode einweihen?»
Reese nickte ernst. «Es bleibt uns nichts anderes übrig, Frau Adelina. Ganz gleich, welche persönlichen Vorbehalte Ihr gegen ihn hegt – er ist ein guter, vertrauenswürdiger Mann.»
«Es gab eine Zeit, da hieltet ihr ihn für wankelmütig, was sein Verhältnis zur Obrigkeit angeht. Ich glaube,
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