Frevel im Beinhaus
Ihr nanntet ihn ein Fähnchen im Wind.»
Reese hob überrascht den Kopf, lächelte dann aber. «Das war in der Tat mein Eindruck von ihm, als er noch nicht Hauptmann war. Inzwischen jedoch bin ich sicher, kaum einen charakterstärkeren Mann zu kennen als ihn. Er ist loyal und geradlinig, ganz ähnlich wie Ihr.» Sein Lächeln vertiefte sich. «Und leider beinahe ebenso stur, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat. Könnt Ihr Euch vorstellen, dass er persönlich beim Schöffengericht vorgesprochen hat, um zu erwirken, dass die Aufsicht über Euch in seine Befehlsgewalt gegeben wird?»
«Hat er das? Warum wohl?» In Adelina stieg wieder dieses mulmige Gefühl auf.
Reese sah sie aufmerksam an. «Er begründete es mit denVorfällen, die vor drei Jahren zum Tode Eures Vaters geführt haben. Offenbar wollte er Euch in Eurer Lage die Anwesenheit fremder Männer im Haus ersparen.» Er hielt kurz inne. «Frau Adelina … Er mag Euch vielleicht ein wenig grob erscheinen, aber er ist ein Mann von Ehre.»
Adelina senkte kurz den Kopf, blickte aber gleich wieder auf. Auch wenn sie nicht sicher war, ob sie Reeses Einschätzung teilte, war schon allein die Aussicht, Neklas für wenige Augenblicke allein zu sehen, Grund genug, seinem Plan zuzustimmen. «Also gut», sagte sie und wandte sich zur Treppe, die hinauf in das Geschoss mit den Zellen führte. «Ich rede mit Neklas … und berichte Euch morgen.»
15
Das Knirschen, mit dem der Riegel der Tür zurückgeschoben wurde, ging ihr durch Mark und Bein. Wie bei ihrem letzten Besuch war es der verlauste Endres, der ihr Erscheinen als Erster kommentierte.
«Sieh an, die Frau Apothekerin», kicherte er und richtete sich auf seiner Matratze auf. «Und noch runder als neulich. Ihr solltet Euch in Eurem Zustand nicht in Gefängnissen herumtreiben. Das tut dem Kind ganz bestimmt nicht gut.»
«Sei still», kam es ungewöhnlich grob von Neklas, der bei Adelinas Anblick aufgestanden war. Wieder hinderte ihn die Kette, mit der sein Arm an die Wand gefesselt war, sich allzu weit von seinem Lager zu entfernen, deshalb eilte Adelina rasch zu ihm und schlang ihm die Arme um den Hals. Obwohl er ungewaschen war und bereits streng nach Schweiß roch, presste sie ihr Gesicht an seine Schulter.
Sanft streichelte Neklas ihr über den Rücken, dann schob er sie ein kleines Stückchen von sich und blickte ihr prüfend in die Augen. «Was tust du hier?» Als sie nicht gleich antwortete, nickte er. «Hat Reese dich geschickt?»
Sie nickte zaghaft. «Er glaubt, dass du ihm etwas verschweigst.»
Langsam ließ Neklas sich wieder auf seine Matratze sinken, und Adelina tat es ihm etwas ungelenk gleich.
«Er irrt sich», antwortete Neklas nach einem kurzen Moment des Schweigens.
«Wirklich?» Prüfend sah Adelina ihm in die Augen.
Mit einem leichten Stirnrunzeln erwiderte er ihren Blick, bis sie nickte. «Wie sollen wir dich nur aus diesem Lochherausholen?», fragte sie verzweifelt. «Wir wissen ja nicht einmal, in welche Richtung wir Nachforschungen anstellen sollen. Uns bleiben nur wenige Tage Zeit, um etwas zu unternehmen.»
Neklas’ Miene verfinsterte sich. «Glaub mir, ich denke Tag und Nacht an nichts anderes. Manchmal scheint es mir, als wiederhole sich der Albtraum von damals: Thomasius, der mich anklagt, ein an den Haaren herbeigezogener Verdacht, günstig platzierte Beweisstücke …»
Adelinas Kopf ruckte hoch. «Glaubst du, jemand von damals könnte dahinterstecken?»
«Jemand aus Italien?» Neklas zuckte mit den Schultern. «Es erscheint mir unwahrscheinlich. Andererseits will mir keine andere Erklärung einfallen. Wir müssten herausfinden, ob sich derzeit fremdländische Geistliche in Köln aufhalten. Möglicherweise beim Erzbischof.»
Adelina atmete hörbar ein. «Da ist tatsächlich jemand.»
Neklas blickte sie verblüfft an.
Sie nickte bekräftigend. «Neulich kam ein hoher Geistlicher mit Gefolge über den Alter Markt geritten. Unter seinen Männern befand sich auch Thomasius.»
«Wie heißt dieser Geistliche?»
Adelina überlegte kurz. «Reese nannte ihn Vater Emilianus.»
Enttäuscht ließ sich Neklas gegen die kalte Wand sinken. «Nein, vergiss ihn», sagte er. «Vater Emilianus stammt zwar, soweit ich weiß, aus Spanien, ist aber schon seit vielen Jahren ein treuer Gefolgsmann des Erzbischofs.»
«Du kennst ihn?»
«Ich habe von ihm gehört. Du weißt doch, dass ich ein paarmal im erzbischöflichen Palast war, wenn einer der Kleriker krank …»
«Ja, ja»,
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