Frevel im Beinhaus
Gottes die Stadt Köln treffen und sie samt ihrer Bewohner in den Höllenschlund reißen.» Er blickte sie von der Seite an. «Dieser Thomasius war wohl ebenfalls dabei, hat sich aber, soweit ich in Erfahrung bringen konnte, nicht an den Hetzreden beteiligt.»
«Schwer vorstellbar», sagte Adelina nachdenklich. «Er liebt es doch, die Menschen mit seinen Predigten vom Fegefeuer in Angst und Schrecken zu versetzen.» Eine Weile schwiegen sie einander an, dann sah Adelina Greverode wieder ins Gesicht. «Warum tut Ihr das?»
«Was?»
«Ihr wisst, was ich meine.» Sie ließ ihren Blick über den Hof schweifen, von dem in der Dunkelheit nur noch Schemen zu erkennen waren. «Ihr hasst mich, und dennoch versucht Ihr, mir zu helfen.»
Greverode schwieg lange auf ihre Frage. Adelina glaubte schon, er wolle ihr keine Antwort darauf geben. Sie vermied es, ihn anzusehen. Erst als sie hörte, wie er den Weinbecher beiseitestellte, und spürte, dass er sich mit einem heftigen Atemzug zurücklehnte, wandte sie sich ihm wieder zu. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt und stieß mit dem Kopf gegen die Stallwand. «Ich hasse Euch nicht», sagte er leise. «Dabei habe ich es weiß Gott versucht.» In seiner Stimme schwang eine Spur Gereiztheit mit, die sich sogleich auf Adelina übertrug.
Sie faltete die Hände über ihrem Leib und blickte wieder nach vorne. «Was habe ich Euch getan, dass Ihr glaubt, mich hassen zu müssen?» Ihr Herz pochte unangenehm, und ihr wurde bewusst, dass sie nicht sicher war, ob sie die Antwort hören wollte.
«Ihr? Gar nichts.» Er stieß erneut heftig die Luft aus, so als habe er sie zuvor angehalten. «Auch wenn ich es lieber sähe, wenn es so wäre. Aber Ihr könnt nichts dafür, dass unsere Mutter Euch mehr geliebt hat als mich.»
«Unsere …» Adelina blieben vor Schreck und Verblüffung die Worte im Hals stecken. Sie schluckte heftig. «Wovon redet Ihr?»
Greverode starrte noch immer in die Luft, doch dann fuhr er plötzlich zu ihr herum und blickte sie finster an. «Wisst Ihr überhaupt, wer Eure Mutter war?»
«Meine Mutter?» In Adelina regten sich Widerstand und Zorn. «Meine Mutter war Sieglinde Merten. Die ehrbare Tochter eines Patriziers und Ehefrau von Albert Merten, eines angesehenen Apothekers. Meines Vaters», setzte sie hitzig hinzu. «Wagt es nicht, sie zu verunglimpfen!»
Greverode stieß einen Laut aus, der so verächtlich klang, dass Adelina ihn zurechtweisen wollte. Seine nächsten Worte ließen sie jedoch ihren Protest vergessen: «Ehrbar, fürwahr, das war sie. Habt Ihr Euch niemals gefragt, wie es sein kann, dass ein reicher Patrizier seine einzige Tochter einem Apotheker zur Frau gibt? Nichts gegen Euren Vater, aber der Standesunterschied dürfte Euch wohl aufgefallen sein, oder nicht?»
Adelinas Hände verkrampften sich ineinander. «Sie haben einander geliebt und …»
«O ja, sicher.» Kopfschüttelnd sprang Greverode auf und ging ein paar Schritte auf und ab. Dann setzte er sich wieder. «Vielleicht war es so, zumindest von seiner Seite aus. Aber seit wann entscheiden die Gefühle eines jungen Mädchens darüber, mit wem ihr Vater sie verheiratet?» Bevor sie etwas erwidern konnte, hob er die Hand. «Kann sein, dass so etwas vorkommt. Ihr mögt Euch selbst als gutes Beispiel angeben, aber das tut hier nichts zur Sache.» Er holte Luft. «Ich werde Euch sagen, wie es gewesen ist.»
Adelina blickte in sein aufgebrachtes Gesicht und erkannte die widerstreitenden Gefühle, die sich in seinen blauen Augen abzeichneten.
«Eure Mutter war eine geborene Uhverath und hätte als solche ganz sicher eine bessere Heirat erwarten können als Euren Vater, wenn sie nicht mit sechzehn Jahren
meinem
Vater begegnet wäre.» Erregt fuhr sich Greverode durch die Haare. «Ich will sein Verhalten nicht beschönigen. Er hat sie verführt, und sie wurde schwanger – mit mir.»
Adelina stieß einen erstickten Laut aus, unterbrach ihn aber nicht.
«Ihr würde ich daraus keinen Vorwurf machen, wenn sie meinen Vater daraufhin geheiratet hätte. Das tat sie aber nicht, denn mein Vater war ein einfacher Soldat. Er hatte nur ein geringes Vermögen, ein wenig Land und keinerleiEinfluss. Sie hat sich von ihm losgesagt, ob auf eigenen Wunsch oder auf das Drängen ihrer Familie hin, weiß selbst mein Vater bis heute nicht. Doch das Kind, das sie in sich trug – mich! –, gab sie nach der Geburt umgehend in seine Obhut.»
«Nein!»
«Und sie hat sich nicht mehr weiter um mich gekümmert,
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