Frevel: Roman (German Edition)
Reiches an den Tag legt, und die unbekümmerte Art, mit der sie davon spricht, sich ihres Mannes zu entledigen, lassen mich erschauern, obwohl mein Körper noch immer auf ihre Nähe reagiert. Ich betrachte sie mit fasziniertem Abscheu, als sie sich vorbeugt und mich weich, aber keusch auf den Mund küsst. Weder erwidere ich den Kuss, noch weiche ich zurück, sondern bleibe zumindest nach außen hin vollkommen teilnahmslos, in der Hoffnung, mir ein bisschen mehr Zeit erkauft zu haben.
»Sprecht mit Eurem Freund, dem Sekretär«, sagt sie gebieterisch an der Tür. »Sorgt dafür, dass er den Mund hält.«
»Das werde ich.«
Sie schenkt mir ein letztes wissendes Lächeln, deutet einen Kuss an, bleibt einen Moment auf der Schwelle stehen und späht nach rechts und links, um sicherzugehen, dass sie nicht gesehen wird. Dann ist sie fort, zurück bleibt nur ein Hauch ihres Ambraparfüms in der Luft meiner Kammer. Ich streiche mir mit den Händen langsam über das Gesicht und setze mich auf das Bett, um wieder zur Ruhe zu kommen. Der Balanceakt zwischen Marie und ihrem Mann wird mir größere Diplomatiekünste abverlangen als all die, die der Botschafter am Hof aufbieten muss. In der Zwischenzeit muss ich Dumas alleine abpassen und ihm den Rest seines gestammelten Geständnisses bezüglich Maria Stuarts Ring entlocken.
Während des restlichen Morgens bekomme ich allerdings keine Gelegenheit dazu. Nachdem ich mein Fasten abgebrochen habe, lungere ich in der Hoffnung, Dumas werde irgendwann einmal auftauchen, mit einem Buch so unauffällig wie möglich in dem Gang herum, der zu Castelnaus Arbeitszimmer führt. Doch der Botschafter muss ihn förmlich an seinen Schreibtisch gefesselt haben, denn Dumas lässt sich fast zwei Stunden lang nicht blicken. Nur Courcelles kommt auf dem Weg zu und von einer Besprechung mit dem Botschafter zweimal an mir vorbei, beide Male mustert er mich von Kopf bis Fuß und fragt, ob ich genug Licht zum Lesen habe und ob es in der Galerie nicht viel bequemer wäre. Als er ein drittes Mal auftaucht, erbietet er sich, Castelnau bei seiner Arbeit zu unterbrechen und mich zu ihm zu schicken. Ich versichere hastig, den Botschafter nicht stören zu wollen, und husche in meine Kammer zurück. Courcelles verfolgt meinen Rückzug mit seinem üblichen wachsamen Argwohn.
Ich tröste mich damit, dass ich Dumas ja sehen werde, wenn sich alle zum Mittagessen versammeln. Mein Kopf schmerzt nach wie vor heftig, aber die Wunde verheilt gut. Da ich nichts Vernünftiges zu tun habe, bis ich den Sekretär vom Botschafter loseisen kann, versuche ich, an den Notizen für mein Buch zu arbeiten, kann mich aber auf nichts anderes als auf Dumas’ Geschichte und die Linie von Marie de Castelnaus Brustbein konzentrieren. Also war es Léon Dumas, der den Ring an sich genommen hat. Er sprach von Geld und Gier – hatte er den Ring entdeckt, als Marias Korrespondenz mit Howard durch Castelnaus Hände ging, und hat die Gelegenheit genutzt, ihn zu stehlen und zu verkaufen? Dann muss der Käufer entweder die Person sein, die ihn Cecily Ashe gegeben hat, oder eine enge Verbindung zu dieser Person haben. Innerlich verwünsche ich Marie erneut für ihr unerwartetes Erscheinen und ihre unerwünschten Aufmerksamkeiten, obwohl die Ironie des Ganzen mir fast ein Lächeln entlockt: Während meiner einsamen Jahre als Dominikanermönch wäre ich nie auf die Idee gekommen, eines Tages eine schöne Frau dafür zu verwünschen, dass sie glaubt, sich in mich verliebt zu haben. Aber ich fürchte, ihr morgendlicher Besuch wird auch Dumas’ Leben schwieriger machen, wenngleich ich nicht glaube, dass er mit den Dienstboten schwatzen wird; außerdem ist er im Moment zu verängstigt, um das Risiko einzugehen, Anstoß zu erregen. Als Marie in den Raum kam, glich sein Gesicht einer Maske nackten Entsetzens, während sie eindeutig wütend war, bei ihrem unziemlichen Ausflug ertappt worden zu sein, und bezüglich Dumas’ Verschwiegenheit Zweifel hegen wird. Es kursieren genug Geschichten über Diener, die ausprobiert haben, mit solchem Wissen Geld von ihren Herren zu erpressen. Ich kann nur hoffen, dass sie es sich nicht in den Kopf setzt, allem, was er vielleicht sagen könnte, vorzubeugen, indem sie versucht, ihn bei Castelnau in ein schlechtes Licht zu rücken. Ich schiebe meine Papiere zur Seite, stütze die Ellbogen auf den Tisch und sodann meinen Kopf auf die Hände. Dank Maries ungebetenen Interesses an mir hängen jetzt sowohl Dumas’ als
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