Frevel: Roman (German Edition)
beste.«
» Seneca? «
»O ja, Master Bruno – Ihr braucht gar nicht so überrascht dreinzuschauen.Unsere Herrscherin ist sehr gebildet und erwartet dasselbe von ihren Hofdamen. Sie würde kein Mädchen in ihrem Kreis dulden, das ihr nicht vorlesen kann und nicht auch versteht, was es liest.«
Ich blicke auf das rothaarige Mädchen hinab, das erneut zu mir hochblinzelt und sich auf die Lippe beißt. Sie ist diejenige, mit der ich unbedingt sprechen muss, vorausgesetzt, es ergibt sich eine Gelegenheit, sie allein abzupassen. Ich frage mich, ob sie auch Seneca liest. Sie wirkt kaum alt genug, um das Alpha bet zu beherrschen.
»Warum trug sie Männerkleidung?«
»Das kann ich Euch nicht sagen, Master Bruno. Die Mädchen sind sehr lebhaft und eigenwillig, sie treiben Spiele, verkleiden sich und so …« Die Worte ersterben auf ihren Lippen. Notfalls wird sie schwören, dass Schwarz Weiß ist, statt freiwillig etwas preiszugeben, das darauf hindeutet, dass sie bezüglich des toten Mädchens ihre Aufsichtspflicht verletzt hat, das ist mir klar.
»Ich danke Euch für Eure Hilfe, Mylady.« Ich verneige mich und gebe vor, den Raum verlassen zu wollen, dann drehe ich mich noch einmal um, als wäre mir ein Gedanke gekommen. »Es besteht wohl kein Grund zu der Annahme, dass Lady Cecily eine Anhängerin des römischen Glaubens war?«
Lady Seaton ist darüber so empört, dass sie aufspringt, aber da sie mit ihrem umfangreichen Reifrock fast im Stuhl stecken bleibt, verliert die Geste an Wirkung. Sie schüttelt die Hände der Mädchen von ihren Armen.
»Wie könnt Ihr es wagen, Sir! An der Treue ihrer Familie zu der Königin besteht kein Zweifel, und wenn Ihr glaubt, ich würde einen Papisten in meiner Nähe nicht sofort erkennen …«
»Verzeiht mir. Ich habe nur laut gedacht. Sie wurde immerhin mit einem Rosenkranz in der Hand gefunden.«
»Den ihr die papistischen Verschwörer untergeschoben haben, die für diese schändliche Tat verantwortlich sind!« Sie sticht mir fast mit dem Finger ins Gesicht. »Ich denke, Ihr solltet jetzt gehen, Sir. Ihr seid beauftragt, den Mörder der armen Cecily zu finden, und beschuldigt sie stattdessen der Hurerei und des Papistentums!«
Ich murmele eine Entschuldigung und ziehe mich rückwärts mit einer weiteren Verneigung durch die Tür zurück. Dabei werfe ich dem rothaarigen Mädchen einen Blick zu, der besagt, dass ich jederzeit bereit bin, ihm zuzuhören, wenn es mir etwas anvertrauen möchte. Aber ich bin nicht sicher, ob es mich verstanden hat.
Die vielen kostbaren Wandbehänge halten die Zugluft vom Korridor fern, aber ich höre den Wind heftig an den Fensterrahmen rütteln, als ich mich in einer Nische gegenüber der Treppe niederlasse, von der aus ich die Tür zu der Kammer im Auge behalten kann, die ich gerade verlassen habe. Walsingham wird vermutlich noch einige Zeit bei der Königin bleiben, und ich kann nichts tun als warten und hoffen, dass die rothaarige junge Hofdame irgendwann einmal ohne Lady Seaton im Schlepptau auftaucht.
Die Zeit verstreicht. Knarren in der Ferne und Schritte zeugen von geschäftigem Treiben irgendwo anders in diesem Labyrinth von Gängen, aber mein Korridor bleibt leer. Ich lege die Hände um mein Gesicht und blicke aus dem Fenster. Im Mondlicht kann ich das weitläufige Palastgelände erkennen, die große Halle auf der Westseite, die Kapelle auf der östlichen, die durch eine schmale überdachte Brücke, die den Graben überspannt, mit dem Privatgemächerkomplex verbunden ist. Der Palast ist gut geschützt, grenzt zu einer Seite an den Wildpark und zu einer anderen an den Fluss, und alle Tore und Eingänge sind schwer bewacht. Aber die Wahrheit lautet, dass jeder potenzielle Attentäter reichlich Möglichkeiten hat, Königin Elisabeth anzugreifen, wenn sie sonntags von der königlichen Kapelle zu ihrem Audienzsaal geht oder wenn sie im Sommer im Land herumreist – oder bei einem ihrer zahlreichen öffentlichen Auftritte. Walsingham missfällt ihr unerschütterlicher Glaube an die Liebe ihrer Untertanen zutiefst, er hält ihn für naiv, und ihr Drang, sich furchtlos inmitten der Bevölkerung zu zeigen, bereitet ihm gleichfalls Sorgen, aber sie besteht darauf, sich von geflüsterten Drohungen nicht einschüchtern zu lassen. Sie möchte den Menschen von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten und ihnen die Hand zum Kuss reichen. Vielleicht erzählt Walsingham ihr deshalb nicht alles, was ihm über die in den Seminaren in Frankreich
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