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Frevel: Roman (German Edition)

Frevel: Roman (German Edition)

Titel: Frevel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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Gelegenheit zu reagieren, falls mir jemand zu nahe kommen sollte.
    Am Ostende der Cheapside biege ich nördlich in die Three Needle Street ein, die mich an der prachtvollen Fassade des Royal Exchange vorbeiführt, diesem von Flamen entworfenen Gebäude, das aussieht, als wäre es direkt von den Niederlanden nach London versetzt worden. Man merkt sofort, dass dies der Teil der Stadt ist, wo sich der Wohlstand versammelt. Händler in kostbaren Pelzen und federgeschmückten Kappen eilen die Stufen des Royal Exchange hinauf und hinunter, und die großen, von der Straße zurückgesetzten Wohnhäuser sind entweder Neubauten mit großzügigen Fenstern oder umgewandelte Klostergebäude, die renoviert wurden, nachdem der Vater der Königin sie geschlossen hatte. Aber wo Geld ist, findet man immer auch Not und Verzweiflung: Bettler, die nur durch Lumpen notdürftig vor der Oktoberkälte geschützt sind, fordern in der Nähe der Treppe bei den wohlgenährten und gut gekleideten Menschen klagend Almosen ein. Zumindest herrscht hier, wo der Reichtum allzu deutlich sichtbar ist, auch eine größere Wachsamkeit: Vor dem Exchange stehen livrierte, mit Piken bewaffnete Posten, und einige der in teure Pelze gehüllten Bürger werden von Leibdienern flankiert. Wenn mein Verfolger bis hierher gekommen ist – und mein Instinkt sagt mir, dass er sich ganz in der Nähe befindet –, wird er jetzt mehr auf der Hut sein müssen.
    Ich finde Crosby Hall am Ende der Bishopsgate Street, ein schönes neues Haus mit einer Front aus rotem Ziegelwerk und hellen Steinen. Entlang der Gartenmauer verläuft eine schmale Gasse, und ich vermute, dass sich dort auch der Dienstboteneingang befindet. Als ich um die Ecke biege, schlägt eine Welle kalter Angst über mir zusammen, und ich ziehe meinen Dolch, denn wenn ein Angriff erfolgen soll, dann wird das jetzt der Fall sein, außerhalb der Sichtweite von Passanten. Eine Tür knarrt, ich wappne mich und hebe den Dolch, als eine junge Frau mit einem Korb aus einem kleinen Tor in der Mauer tritt und so laut loskreischt, als wäre ich tatsächlich auf sie losgegangen.
    »Es tut mir leid.« Ich schiebe das Messer in meinen Gürtel zurück und eile zu ihr, um ihr beim Aufheben der heruntergefallenen Wäsche zu helfen, doch sie weicht zurück und schreit weiter, als wären sämtliche Hunde der Hölle hinter ihr her, woraus ich schließe, dass mir mein Akzent keine Hilfe ist. Ein großer, erkahlender Mann mit einer schmutzigen Küchenschürze vor dem Bauch steckt den Kopf zum Tor heraus und ballt die Fäuste.
    »Was ist hier los?«
    »Verzeihung – ein Missverständnis –, ich möchte Lady Seaton sprechen. Mein Name ist Giordano Bruno.«
    »Dein ausländischer Name interessiert mich einen Rattenscheiß. Hier wohnt keine Lady Seaton. Jetzt verschwinde, ehe ich dir einen Tritt in deinen dreckigen spanischen Hintern verpasse!«
    »Er hat ein Messer«, quiekt das Mädchen, als es hinter seiner fleischigen Schulter Schutz sucht.
    Ich hebe beide Hände.
    »Lady Seaton ist heute bei Eurem Herrn zu Gast, glaube ich. Man hat mir gesagt, sie hätte eine dringende Botschaft für mich. Wärt Ihr so freundlich, einmal nachzufragen? Ich kann hier warten.«
    »Und ob du hier wartest. Mit einem Messer kommst du hier nicht herein. Geh ins Haus zurück, Meg, bis wir die Angelegenheit geklärt haben.« Er hält dem Mädchen das Tor auf. Sowie Meg hindurchgehuscht ist, funkelt er mich finster an.
    »Sag deinen Namen noch einmal. Aber langsam.«
    »Bruno. Einfach Bruno.«
    Er nickt, und das Tor schließt sich hinter ihm. Die Gasse bleibt ruhig. Ich lehne mich gegen die Mauer; jetzt überzeugt, dass ich in eine Falle geraten bin und hier in diesem schlammigen Sträßchen auf meine Hinrichtung warte. Nun, denke ich, ich habe dem Tod schon mehr als einmal ins Auge geblickt und in meinen Jahren als Flüchtling in Italien ein bisschen über Kampfkunst gelernt. Wenn ich hierher bestellt worden bin, um zu sterben, werde ich es meinen Henkern nicht leicht machen.
    Die Zeit verstreicht, ich habe den Versuch aufgegeben, die Minuten zu zählen. Ein Windstoß fegt herabgefallene Blätter durch die Gasse; einige bleiben an meinen Beinen kleben, bevor sie weiterwirbeln. Als das Tor wieder geöffnet wird, springe ich zurück, und meine Hand fährt zu dem Dolch. Ein grauhaariger Mann in einem schmucken schwarzen Wams und einer gestärkten Halskrause erscheint im Eingang und mustert mich von Kopf bis Fuß.
    »Ihr seid Bruno? Lady Seatons

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