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Frevel: Roman (German Edition)

Frevel: Roman (German Edition)

Titel: Frevel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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hören.«
    Er richtet sich auf. Ich halte ihn an seinem Umhang fest und ziehe ihn zu mir herunter.
    »Ich glaube an das Böse«, bringe ich durch die Zähne zustande, als sich sein Gesicht auf einer Höhe mit dem meinen befindet.
    Er nickt ein einziges Mal, erhebt sich, wirft mir noch einen schwer zu deutenden Blick zu, dreht sich dann um und geht davon. Ein Wächter mit einer Fackel streckt mir eine Hand hin, um mir aufzuhelfen, schlingt meinen taub gewordenen Arm um seine Schulter, stützt mich, damit ich nicht das Gleichgewicht verliere, und führt mich in den Palast.

18
    Mortlake
    1. November im Jahr des Herrn 1583
    In Mortlake ziehen sich die raureifüberzogenen Bäume und Hecken so regungslos wie gemalte Bühnenkulissen am Flussufer entlang. Der von der Wassertreppe heraufführende Pfad knirscht unter meinen Füßen, da der Nachtfrost den Schlamm erstarren lassen hat. Die Sonne steht tief, aber hell am Himmel und taucht die Landschaft und das krumme Dach von Dees Haus in einen blassgoldenen Schein. Aber mein Herz ist schwer, als ich das Gartentor aufstoße, und als Jane Dee mir die Vordertür öffnet, sehe ich, dass sie geweint hat. Sie umarmt mich kurz, dann deutet sie über ihre Schulter.
    »Vielleicht könnt Ihr ihn zur Vernuft bringen, Bruno – mir gelingt es nicht.« Ihre Worte klingen gepresst vor angestauten Emotionen.
    Ich zögere, komme aber zu dem Schluss, dass es besser ist, ihr jetzt noch keine Fragen zu stellen.
    Das Laboratorium wirkt verlassen, heute dampft oder blubbert oder stinkt oder qualmt nichts, und ein Teil der Destillierapparate sind geleert und abgebaut worden. Dee steht an seinem Arbeitstisch und wirft scheinbar wahllos Bücher in eine offene Truhe. Ich räuspere mich, er blickt auf und verzieht die Lippen hinter dem Schnurrbart zu einem breiten Lächeln.
    »Bruno!« Er hüpft über eine mit Glasflaschen gefüllte Kiste hinweg, die bedrohlich klirrt, als er mit dem Fuß dagegenstößt, und zieht mich in eine feste Umarmung.
    »Ihr seid ja heute in Hochstimmung«, bemerke ich in der Hoffnung, nicht zu bitter zu klingen.
    »Wie könnte es auch anders sein, mein Freund?« Er fasst mich bei den Schultern und sieht mich mit leuchtenden Augen an. »Böhmen, Bruno! Könnt Ihr Euch das vorstellen? Prag! Noch nicht einmal Ihr habt auf Euren Reisen Prag besucht. Der Hof eines Philosophenkaisers, der selbst nach verborgenen Wahrheiten forscht und diejenigen von uns, die nach altem Wissen streben, das nicht in den Büchern der Kirchenväter verzeichnet ist, nicht verfolgt und verurteilt, sondern achtet und fördert!« Er schüttelt mich leicht. »Kaiser Rudolf ist der aufgeklärteste Herrscher Europas. Es heißt, an seinem Hof gibt es wahre Wunder zu bestaunen. Holztauben, die wirklich fliegen …«
    »Ihr wisst, dass Ihr nicht gehen müsst«, unterbreche ich ihn. »Henry Howard steht unter Hausarrest und wird in Kürze in das Fleet-Gefängnis überstellt, und Fowler ist unter dem Verdacht, die beiden Hofdamen ermordet zu haben, verhaftet worden. Euer Name ist reingewaschen.«
    »So einfach ist das alles nicht, das wisst Ihr so gut wie ich.« Er senkt bedauernd den Kopf. »Gestern suchte mich der Sekretär des Earls of Leicester auf.«
    »Was wollte er?«
    »Er brachte mir ein Geschenk der Königin. Vierzig goldene Engelstaler.«
    »Dann steht Ihr also noch immer in ihrer Gunst«, strahle ich.
    »In ihrer schon.« Er zupft an seinem Bart. »Aber nicht in der des Kronrats. Es war ein Abschiedsgeschenk, Bruno, und ich wäre ein Narr, etwas anderes hineinzuinterpretieren. Ein Zeichen ihrer Wertschätzung, ja, aber auch eine Art, mir dafür zu danken, dass ich ihr durch meine unauffällige Abreise die Dinge leichter mache. Nach dieser Geschichte am Hof wird Burghley noch mehr Gesetze gegen Astrologen und Männer erlassen, die sich mit Prophezeiungen und Weissagungen befassen – sie kann mir dann nicht mehr öffentlich ihre Gunst beweisen. Sie hat mir einen Ausweg angeboten, und ich nehme ihn dankbar an. Ich bin sechsundfünfzig Jahre alt – ist das nicht eine einmalige Gelegenheit für mich?« Er zwingt sich, Begeisterung in seine Stimme zu legen.
    »Aber was ist mit …« Ich schwenke eine Hand durch den Raum. Was ist mit mir? , wollte ich eigentlich sagen und schelte mich für meine Eigensucht. Die Aussicht, jetzt, wo sich auch Sidney von mir entfernt hat, ohne Dee in London leben zu müssen, ist für einen ausländischen Ketzer im Exil mehr als trübe. Als ich sein leer geräumtes Laboratorium

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