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Frevel: Roman (German Edition)

Frevel: Roman (German Edition)

Titel: Frevel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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vor Augen geführt, wie alleine ich hier in England bin. Freilich gibt es noch einen anderen Grund, weshalb ich nicht mit Fowler sprechen will – abgesehen davon, dass seine Aufgabe lediglich darin besteht, meine Botschaften bezüglich der Komplotte weiterzuleiten, die in Salisbury Court geschmiedet werden: meinen persönlichen Stolz. Abigail Morley hat mir Cecily Ashes Geheimnisse anvertraut, und ich will derjenige sein, der das Rätsel lösen wird. Ich will meine Fähigkeiten unter Beweis stellen, indem ich den Mörder überführe, und zwar ohne jemanden wie Fowler hinzuzuziehen, den ich in gewisser Hinsicht als Rivalen um Walsinghams Gunst betrachte, ungeachtet dessen, dass wir zusammenarbeiten sollen – ich komme einfach nicht dagegen an.
    Ich trete zum Fenster, stütze mich auf das Fensterbrett und starre in den Nachmittagshimmel, der jetzt bernsteinfarben glüht. Meine Kammer geht zum hinteren Teil des Hauses hinaus, von hier aus kann ich die Gärten bis hinunter zum breiten braunen Band der Themse überblicken, in deren träge dahinfließendem Wasser sich die sinkende Sonne widerspiegelt. Wenn ich ganz ehrlich bin, dann muss ich zugeben, dass ich Angst habe. Wie auch immer die Komplotte von Maria Stuart ausgehen – meine eigene Zukunft steht auf dem Spiel, das ist mir nur zu klar. Gesetzt den Fall, diese Invasion, die derzeit noch wie eine Rachefantasie entrechteter Männer und einer wutschnaubenden gefangenen Königin klingt, würde irgendwann einmal Wirklichkeit, hätte ich in einem katholisierten England keine Chance mehr. Sofern jedoch – wie ich aufrichtig hoffe – diese Pläne durchkreuzt werden, ist es so gut wie ausgeschlossen, dass Castelnau hier weiterhin den Botschafterposten bekleidet; sobald seine Beteiligung bekannt würde, wäre seine Glaubwürdigkeit dahin. Und wenn er abgesetzt werden sollte, müsste ich um meiner selbst willen dafür gesorgt haben, dass ich für Walsingham und den englischen Hof unentbehrlich geworden bin, und zwar nicht nur, weil ich Zugang zu der Französischen Botschaft und ihren Intrigen habe. Wenn ich herausfinde, wer Cecily Ashe getötet hat, kann Königin Elisabeth nicht mehr an meinem Nutzen für sie zweifeln, denke ich.
    Dann kommt mir ein Gedanke: Es gibt einen Freund, dem ich mich anvertrauen kann – jemanden, der über genau die Fähigkeiten verfügt, die ich brauche, um meine Theorie bezüglich des Parfüms und des Rings zu überprüfen, und der auch Diskretion zu wahren weiß. In der Hektik der letzten Tage habe ich ihn vernachlässigt, aber er ist der einzige Mensch, der mehr über die Große Konjunktion weiß als irgendjemand sonst in London. Also werde ich morgen nach Mortlake zurückkehren, zum Haus von Doktor Dee.

6
    Mortlake, London
    29. September im Jahr des Herrn 1583
    Doktor Dees Bibliothek ist meiner Meinung nach eines der größten Wunder dieser verregneten Insel. Sein gesamtes Haus ist ein weitläufiges Wirrwarr aus Anbauten, neuen Flügeln und verborgenen Räumen, sodass man von außen unmöglich erahnen kann, wie das ursprüngliche Cottage ausgesehen hat, das einst seiner Mutter gehört hatte und jetzt irgendwo tief in diesem Labyrinth vergraben ist. All diese zusätzlichen Räume wurden von Dee selbst entworfen, unter Berücksichtigung seiner esoterischen Gebote, um irgendwelchen speziellen Aspekten seiner Arbeit zu dienen, und die Bibliothek bildet den Höhepunkt seiner Bemühungen. Seine Sammlung von Büchern und Manuskripten und auch der Raum selbst sind größer als die Universitätsbibliothek von Oxford; an den Wänden hat Dee mit großem Aufwand diese neumodischen vertikalen Regale errichten lassen, die an den europäischen Universitäten die altmodischen Lesepulte ersetzt haben und in denen man die Bücher besser zur Schau stellen kann. Dem die Bibliothek besuchenden Gelehrten hilft das nicht unbedingt weiter, weil die Werke nach keiner bestimmten Methode geordnet zu sein scheinen, es sei denn, es handelte sich um irgendein geheimnisvolles System, das nur in Dees Kopf existiert, denn er vermag die Hand ohne Zögern auf jedes beliebige Werk zu legen, das man ihm nennt, und erinnert sich genau daran, wohin er es zurückstellen muss.
    Manche Regale sind mit alten, auf Holzspindeln aufgerollten und horizontal aufgestapelten Karten und Tabellen vollgestopft, oder mit Hüllen, die alte Pergamentmanuskripte mit Goldverzierungen enthalten, die der Zerstörung von Englands Klosterbibliotheken entgangen sind. Es gibt Bücher, für die Dee

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