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Frevel: Roman (German Edition)

Frevel: Roman (German Edition)

Titel: Frevel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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an Besessenheit grenzender Sorgfalt. In den sechs Monaten, die ich hier wohne, bin ich nicht ein einziges Mal ausgegangen, ohne meine Kammer zu verschließen – in meiner Truhe befinden sich Bücher und Schriften, die niemand in diesem frommen katholischen Haushalt gutheißen würde. Wie naiv von mir, nicht daran gedacht zu haben, dass jemand in diesem Haus einen Zweitschlüssel für alle Räume haben könnte! Meine eigene Dummheit innerlich verwünschend ziehe ich die Tür langsam zurück, versetze ihr dann einen kräftigen Tritt und springe mit gezücktem Messer in einem Satz über die Schwelle.
    Doch der Raum ist leer und wirkt unberührt, genauso, wie ich ihn verlassen habe: Die Bettdecken sind säuberlich gefaltet, die Papiere auf dem Schreibtisch, an dem ich gearbeitet habe, zu zwei Stapeln aufgeschichtet, daneben liegen Schreibfedern und ein kleines Messer. Einen Moment ziehe ich in Betracht, dass ich mich geirrt haben könnte; möglicherweise habe ich in meiner Hast, zu Dee zu gelangen, heute Morgen tatsächlich vergessen, die Tür abzuschließen. Allein, das Gefühl des Unbehagens will nicht weichen; ich drehe mich langsam um, lasse den Blick durch den Raum und über die wenigen Möbelstücke schweifen, zerbreche mir den Kopf darüber, ob irgendetwas anders ist als sonst, und rechne halb damit, dass sich im Schatten etwas bewegt. Erst als ich zu dem Schreibtisch trete, fällt mir sofort auf, dass die Papiere jetzt anders angeordnet sind. Ganz eindeutig hat derjenige, der in meine Kammer eingedrungen ist, nicht daran gedacht, dass ich in Frankreich ebenso sehr für mein erstaunliches Gedächtnis wie für meine ketzerischen Thesen bekannt bin. Ich sehe die Notizen rasch durch. Es ist nichts Aufrührerisches dabei: ein paar mathematische Berechnungen der Bewegungen von Mond und Erde und eine Reihe von Diagrammen, die sich mit der Lichtstrahlung der Himmelskörper befassen, aber nichts, was mich ins Gefängnis bringen könnte. Trotzdem sind die obersten Papiere nicht die, an denen ich zuletzt gearbeitet habe. Dieser Gedanke treibt mich zu der geschnitzten Truhe, in der ich meine umstritteneren Bücher aufbewahre. Das Vorhängeschloss an den eisernen Klammern ist unversehrt, aber die Spuren im Staub ringsum verraten, dass es ein kleines Stück bewegt worden ist. Jemand hatte sich daran zu schaffen gemacht.
    Am anderen Ende des Raumes steht eine weitere, größere Truhe, die meine Kleider enthält. Als ich den Deckel aufklappe, schlägt mir der leichte Duft der Ambrakugel entgegen, die ich hineingelegt habe, um Motten fernzuhalten. Auch hier bemerke ich Anzeichen dafür, dass jemand in der Truhe herumgewühlt hat. Meine Kleider sind herausgenommen und hastig zusammengefaltet wieder zurückgelegt worden. Ich greife nach einem Wams aus feiner Wolle, streiche es glatt und lege es sorgfältig neu zusammen. Es scheint nichts zu fehlen, aber die Truhe ist eindeutig durchsucht worden. Das erscheint mir noch seltsamer – ich kann verstehen, dass es Angehörige der Botschaft, wie zum Beispiel Courcelles, geben mag, die der Meinung sind, das Recht zu haben, sich hier hereinschleichen und überprüfen zu dürfen, was ich unter ihrem Dach lese und schreibe, doch ich kann mir nicht vorstellen, warum sich jemand für meine Kleider interessieren sollte. Es sei denn, dieser Jemand sucht nach etwas ganz Speziellem.
    Wenigstens, denke ich voller Erleichterung, als ich das Wams wieder in die Truhe lege, hatte ich nicht allein die Glasphiole mitgenommen, sondern habe den Samtbeutel mit Cecily Ashes sämtlichen Liebesunterpfändern bei mir. Der Gedanke daran lässt mich kurzzeitig erstarren – aber nein, das ist unmöglich. Niemand in der Botschaft kann wissen, dass ich in der Nacht des Mordes im Richmond Palace war oder dass ich mich mit Abigail Morley getroffen habe. Ich richte mich auf, klopfe meine Kleider ab und schüttele diese törichten Befürchtungen ab wie lästige Fliegen. Der Mann in dem Boot hat mich aus der Fassung gebracht, und selbst bei ihm habe ich keinen Beweis dafür, dass er mir wirklich gefolgt war. Dennoch grübele ich, als ich in den Gang hinaustrete und mich gleich zweimal vergewissere, dass ich die Tür abgeschlossen habe – den Eindringling in meiner Kammer habe ich mir nicht eingebildet, und jemand in der Botschaft weiß, wer er ist.
    Die Stille hält im ganzen Haus an, als wäre während meiner Abwesenheit die Apokalypse über die Bewohner von Salisbury Court hereingebrochen, sie mit sich gerissen

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