Frevel: Roman (German Edition)
Die Halle wölbt sich über unseren Köpfen, der obere Teil der Wände scheint nur aus durch die Buntglasfenster fallendem Licht zu bestehen und lenkt den Blick weiter nach oben zu dem dunklen Holz der Stichbalken der Decke mit dem kunstvollen Schnitzwerk und den vergoldeten Spandrillen. An jeder Wand hängt ein buntes, mit den königlichen Insignien in Gold, Karminrot und Blau besticktes Banner. Der untere Teil der langen Wände ist, soweit ich es in der Menschenmenge erkennen kann, mit kostbaren flämischen Wandbehängen geschmückt, die Szenen aus dem Alten Testament zeigen. Höflinge in Samt und Seide in allen Farben scharen sich zu Gruppen zusammen oder schreiten durch den Raum, werfen einander scheele Blicke zu und stellen ihre prunkvolle Kleidung zur Schau; die Männer tragen bauschige Kniehosen mit weißen Seidenstrümpfen, die ihre Waden betonen, Wämser mit geschlitzten Ärmeln, hinter denen leuchtend buntes Leinen aufblitzt, und einige zudem gestärkte Halskrausen, die ihnen den Anschein verleihen, wie balzende Vögel ihr Gefieder zu spreizen. Über eine Schulter haben sie kurze Samtumhänge drapiert, die von Broschen aus Gold oder Jade zusammengehalten werden, und wenn sie sich vorbeugen, um sich miteinander zu unterhalten, schwanken und nicken die langen Pfauenfedern an ihren Kappen und verhaken sich auch hier und da miteinander. Einige dieser Männer tragen silberne Parfümkugeln an ihren Gürteln, die einen schweren, süßlichen Geruch verströmen, und alle ohne Ausnahme haben Schwerter in aufwändig bestickten Scheiden bei sich. Es erstaunt mich, dass eine Königin, die in ständiger Angst vor Anschlägen lebt, es duldet, dass ihre Höflinge in ihrer Gegenwart Waffen tragen, aber möglicherweise wagt noch nicht einmal sie es, einem Gentleman sein Schwert abnehmen zu lassen. Sidney hat mir einmal erzählt, dass sie Duelle unter den Männern des Hofes verboten und als Strafe dafür den Verlust der rechten Hand festgesetzt hat. Die sperrigen Kostüme zwingen diese Höflinge dazu, mit leicht gespreizten Beinen zu gehen; ihrer Herumstolziererei und den hin und her schweifenden Blicken, mit denen sie sich vergewissern, dass sie bemerkt werden, haftet etwas Lächerliches an. Ich kann mir nur vorstellen, wie sie sich wohl dann benehmen würden, wenn mehr Frauen anwesend wären.
In einer Nische vor einem großen Fenster, das sich vom Boden bis zur Decke erstreckt, spielt eine Gruppe von Musikern leise Melodien. Der Effekt ist atemberaubend, da die sinkende Sonne durch die bunten Scheiben fällt und die Köpfe und Schultern der Männer in ihren leuchtenden Schein taucht, bevor sie Muster auf den mit Binsen bestreuten Boden malt.
Maries Kopf schwenkt von rechts nach links und wieder zurück, ihre Augen strahlen wie die eines Kindes auf einem Faschingsfest, und ich muss unwillkürlich lächeln. Dies ist zweifellos der richtige Ort für eine junge Frau auf der Suche nach männlicher Bewunderung. In der Halle herrscht ein unübersehbarer Überschuss an jungen Männern. Es heißt, dass die Königin es nicht liebt, in einen Wettstreit um die Aufmerksamkeit ihrer Höflinge treten zu müssen – vor allem nicht, seit sie zu altern beginnt –, daher sind diese angehalten, ihre Frauen zu Hause zu lassen. Die wenigen anwesenden Damen sind eindeutig älter, eher im Alter der Königin, in enge Mieder über ausladenden Reifröcken gezwängt, und ihre Gesichter sind starr vor Farbe. Schon zieht Marie Blicke auf sich, als wir uns langsam einen Weg durch die Menge bahnen. Obwohl sie sich bei ihrem Mann untergehakt hat, bemerke ich, dass sie zufrieden in sich hineinlächelt, statt sittsam den Kopf zu senken, wie es sich für eine Frau gehört, wenn sie von Männern gierig angegafft wird.
Ich suche die Menschenmenge verstohlen nach bekannten Gesichtern ab. Abigail kann ich nirgendwo entdecken. Am anderen Ende der Halle, direkt neben der Fensternische, ist ein Podest mit einem vergoldeten Thron in der Mitte errichtet worden; ich vermute, dass sich die Köngin und ihre Hofdamen einen großen Auftritt verschaffen wollen, bevor das Konzert beginnt. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich Gelegenheit bekomme, mit Abigail unter vier Augen zu sprechen, ist mehr als gering – die Hofetikette verlangt, dass ich in Castelnaus Nähe bleibe und darauf warte, vorgestellt zu werden –, vielleicht kann ich ihr jedoch eine Botschaft zukommen lassen und sie um ein weiteres Treffen bitten. Ich glaube immer noch, dass sie etwas zurückhält, und
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