Frevel: Roman (German Edition)
Augen von dreihundert Zeugen unter die Menge in der Halle gemischt haben, während ein Komplize das arme Mädchen aus dem Weg geräumt hat, da könnt Ihr sicher sein.«
»Es wäre gut, wenn wir die Gäste von der Halle zu ihren Booten und Pferden bringen könnten, ohne dass sie etwas von diesen jüngsten Ereignissen mitbekommen«, blafft Walsingham. »Ich werde die Wachposten anweisen, die Leute aus dem Palast zu geleiten, sowie das Konzert zu Ende ist.«
»Ihre Majestät wird Dee sehen wollen«, wirft Leicester ein, dabei betrachtet er Walsingham mit einem Ausdruck, den ich nicht deuten kann.
Walsingham schließt kurz die Augen, als denke er über das Ausmaß dieser neuerlichen Komplikation nach.
»Das wird sie zweifellos.«
»Seit seinem gestrigen Besuch ist sie sehr aufgeregt, wie wir alle wissen …« Leicester bricht mitten im Satz ab und macht eine vage Geste in Richtung Tür. »Nun, es scheint tatsächlich mehr als nur ein Zufall zu sein. Obwohl sie es mit Sicherheit als eingetroffene Prophezeiung deuten wird.«
»Großer Gott. Dees Vision! Daran hatte ich bislang überhaupt noch nicht gedacht.« Burghley presst die Hände wie zum Gebet zusammen, seine Zeigefinger berühren seine Lippen. »Ich schlage vor, dass John Dee unverzüglich verhört wird. Und zwar nicht unbedingt von einem seiner Freunde«, fügt er mit einem warnenden Blick zu Leicester hinzu und wendet sich zur Antwort auf meine stumme Frage an Walsingham. »Wir sollten Bruno jetzt zum Ort des Geschehens bringen. Die Zeit läuft uns davon.«
Walsingham nickt.
»Allerdings. Auch Master Byrds Motetten können nicht ewig dauern.«
Er führt mich schnellen Schrittes durch eine Reihe von Korridoren, vorbei an Wandbehängen und in Wandhaltern flackernden Fackeln. Burghley folgt uns, mit einer weiteren Fackel in einer Hand. An jeder Ecke scheinen noch mehr Wachposten zu stehen als bei meiner Ankunft, und ihre angespannten Gesichter zeugen von der angstbesetzten Stimmung, die offenbar den ganzen Palast erfasst hat. Wir gelangen in einen Teil des Gebäudekomplexes, bei dem es sich eindeutig um die Domäne der Diener und Köche handelt, die hinter den Kulissen durch ihre unermüdliche Arbeit dafür sorgen, dass die prunkvolle Palastmaschinerie reibungslos läuft. Auch hier sind Wächter postiert; kaum dass sie unsere Schritte hören, legen sie die Hände sofort an ihre Piken, treten dann aber zurück und senken respektvoll die Köpfe, als sie sehen, wer da so entschlossen mit steinerner Miene auf sie zukommt.
Ich folge Walsingham über einen schwach erleuchteten Hof, wo in einer Ecke Fässer und in einer anderen Holzscheite aufgestapelt sind. Zwei Männer schleppen im Licht einer kleinen Laterne Säcke in eines der Nebengebäude. Noch immer hat Walsingham kein Wort mehr gesagt – ich brenne darauf, ihn nach Dee zu fragen, die Miene des Staatssekretärs ist jedoch dermaßen abweisend, dass ich es nicht wage. Auf der rechten Seite des Hofes liegt ein langes, zweistöckiges rotes Ziegelgebäude mit einer Reihe von hohen Schornsteinen. Hier verlangsamt Walsingham seine Schritte und bleibt bei einem halbrunden, halb mannshohen, auf Bodenhöhe in die Wand eingelassenem Gitter stehen. Hinter den Eisenstäben, die es vom Hof trennen, höre ich das leise Plätschern von Wasser.
»Die Palastküchen«, erklärt Walsingham mit gedämpfter Stimme, dabei deutet er auf das Gebäude. Als ich mich bücke, sehe ich, dass das Gitter das Ende eines gewölbten Tunnels bildet, der mitten durch das Küchengebäude verläuft. Das andere Ende öffnet sich zum Fluss hin. Das Tageslicht ist fast ganz erloschen, der Tunnel liegt tiefschwarz vor mir. Das muss die Küchenanlegestelle sein, überlege ich. In respektvollem Abstand tuscheln ein paar Diener miteinander, während sie uns scharf beobachten. Eine Frau in ihrer Mitte unterdrückt ein Schluchzen. Ein weiterer Wachposten, der neben einer kleinen Tür links von dem Gitter an der Wand lehnt, nimmt Haltung an, sowie er Walsingham näher kommen sieht, und öffnet uns auf ein Nicken hin die Tür. Walsingham gibt Burghley zu verstehen, dass er mit der Fackel vortreten solle. Hinter der Tür liegt ein gefliester Gang, in dem es leicht nach gekochtem Fleisch und Kräutern riecht. Fast unmittelbar dahinter befindet sich rechts eine weitere Tür, die Walsingham öffnet; langsam dreht er sich zu mir um.
»Es ist kein schöner Anblick, Bruno, vor allem nicht, weil Ihr das Mädchen gekannt habt. Aber ich möchte wissen, was Ihr
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