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Frevel: Roman (German Edition)

Frevel: Roman (German Edition)

Titel: Frevel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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von dieser Sache haltet. Es tut mir leid, Euch darum bitten zu müssen«, fügt er etwas weicher hinzu. Ich nicke stumm, und er nimmt Burghley die Fackel ab.
    Wir treten in einen Raum, der aussieht wie eine Vorratskammer, vielleicht zwölf Fuß breit und zwanzig Fuß lang, und der bis auf einen Stapel hölzerner Kisten an der Wand und eine reglose, in dem weißen Kleid nahezu gespenstisch wirkende Gestalt auf dem Steinboden leer ist. Walsingham tritt vor, kauert sich neben dem Leichnam nieder und hält die Fackel so, dass die flackernden Flammen das erbärmliche Ende von Abigail Morley beleuchten.
    Das Mieder ihres Kleides ist rüde in der Mitte entzweigerissen worden, um ihren Oberkörper zu entblößen. Aus ihrer linken Brust ragt ein Dolch, er ist ihr fast bis zum Griff in das Fleisch gestoßen worden. Direkt ins Herz, denke ich, und mich beschleicht das beunruhigende Gefühl, schon einmal hier gewesen zu sein, dieses Bild schon einmal gesehen zu haben. Als ich näher an die Tote herantrete und mich auf den Boden knie, registriere ich, dass sowohl der Leichnam als auch die Fliesen nass sind. Auch Abigails rotes Haar ist mit Wasser durchtränkt. Walsingham hält die Fackel dichter an sie heran und gibt mir ein stummes Zeichen, mir ihre Brust erneut anzusehen. Auf der rechten Seite, dem Dolch gegenüber, ist ein Zeichen grob in ihre blasse Haut eingeritzt worden: ein senkrechtes Kreuz mit einem nach rechts geschwungenem Schweif, das einem klein geschriebenen »h« ähnelt – das astrologische Symbol für den Saturn. Um mein bei diesem Anblick nun heftig in meiner Brust hämmerndes Herz wenigstens eine Spur zu beruhigen, stoße ich den Atem langsam zischend aus. In einem schrecklichen Moment der Klarheit begreife ich, warum Leicester von Doktor Dee und von mehr als nur einem Zufall gesprochen hat: Gesehen habe ich dies Bild zwar zuvor nicht, eine Beschreibung der Tat hatte ich allerdings bereits gehört – Abigail ist fast auf dieselbe Weise getötet worden wie die Frau in Ned Kelleys jüngster Vision, von der Dee mir erzählt hatte.
    Endlich zwinge ich mich, Abigails Gesicht zu betrachten. Es ist bleich, nur der Fackelschein wirft einen schwachen orangefarbenen Schimmer über ihre Wangen, es überrascht mich jedoch, wie friedlich es für jemanden wirkt, der vor kurzem eines gewaltsamen Todes gestorben ist. Es kommt mir eigenartig vor; während meiner Jahre auf der Straße habe ich zahlreiche Leichen erstochener Männer gesehen, aber ihre Züge waren ausnahmslos vor Todesqual verzerrt gewesen.
    Ich bedeute Walsingham, mit der Fackel ihr Gesicht zu beleuchten, was er auch tut. Jetzt knien wir beide in den Pfützen, die sich rund um den Leichnam gebildet haben. Abigails Augen starren blicklos ins Leere, das Weiß ist blutunterlaufen, das linke Auge vollständig rot verfärbt. Rund um Mund und Nase weist sie Prellungen auf, dagegen hat sie keine Würgemale am Hals wie Cecily Ashe.
    »Sie hat im Wasser gelegen?« Ich bringe kaum mehr als ein Flüstern heraus.
    »Mit den Händen war sie an einem der Eisenringe festgebunden, an denen sonst die Boote am Dock festgemacht werden. Eines der Küchenmädchen fand sie, weil es bemerkte, dass die Tür zu diesem Raum offen stand. Sie sagt, anschließend hätte sie erst die ebenfalls offenen Türen zur Verladerampe, dann etwas Weißes im Wasser treiben sehen. Anfänglich glaubte sie an einen Geist.« Walsingham schneidet eine Grimasse.
    »Demnach sollte sie wohl gefunden werden. Aber ihrem Gesicht nach zu urteilen ist sie nicht ertrunken«, murmele ich mehr zu mir selbst. »Ich glaube, sie wurde erstickt, und als sie sich nicht mehr rührte, wurde ihr der Dolch in die Brust gestoßen. Der Mörder musste auf sie gewartet und sie überrumpelt haben, als sie kam …« Ich breche abrupt ab. Als sie kam, um mich zu treffen.
    Walsingham erhebt sich steif.
    »Er kam hier herein, denke ich.« Er hält die Fackel in die Höhe, und ich sehe, dass sich gegenüber der Tür, durch die wir gekommen sind, noch eine weitere, mit einem schweren Riegel gesicherte Doppeltür befindet. Walsingham winkt mich zu sich, reicht mir die Fackel, schiebt den Riegel zurück und stößt die Tür auf. Ich stelle fest, dass sie sich direkt zu dem unter dem Gebäude verlaufenden Tunnel öffnet; zwei breite steinerne Stufen führen zum Wasser hinunter. Der Tunnel ist so breit wie eine kleine Barke, die gewölbte Decke vielleicht zehn Fuß hoch, und er dient eindeutig dem Zweck, Vorräte per Boot vom Fluss zu den

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