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Frevel: Roman (German Edition)

Frevel: Roman (German Edition)

Titel: Frevel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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merkwürdiger Zufall.«
    Er lacht trocken auf. »Ihr Jahrmarktsterngucker behauptet doch immer, es gäbe keine Zufälle, oder?« Er wirft das Haar zurück und stolziert aus dem Raum, und ich bleibe mit dem beunruhigenden Wissen zurück, in Salisbury Court verwundbarer denn je zu sein.

10
    London
    1. Oktober im Jahr des Herrn 1583
    »Maria Stuart wird darüber nicht sehr glücklich sein.«
    Thomas Phelippes hebt den Kopf nicht, als er diese Bemerkung macht, stattdessen huscht sein Blick flink wie eine Eidechse über die Zahlenreihen in dem Brief, dessen Siegel er soeben fachmännisch gelöst hat. Walsingham sagte einmal zu mir, Phelippes müsse eine solche Reihe nur ein- oder zweimal ansehen und könne sie dann auswendig herunterleiern, und in seiner Stimme schwang beinahe so etwas wie väterlicher Stolz mit. Wenn er kein derart genialer Entschlüsseler von Codes wäre, hatte Walsingham noch mit einem nachsichtigen Lachen hinzugefügt, könnte er auf einem fahrenden Jahrmarkt mit seinem phänomenalen Gedächtnis ein Vermögen verdienen. Natürlich bin ich von dem außerordentlichen Erinnerungsvermögen des Mannes fasziniert, aber sein Verhalten lädt nicht zu einer vertraulichen Unterhaltung ein. Tatsächlich scheint er für den Umgang mit anderen Menschen denkbar schlecht geeignet zu sein; er sieht sein Gegenüber kaum je direkt an und windet sich sichtlich vor Unbehagen, es sei denn, er wird gebeten, über seine Arbeit zu sprechen – dann verfällt er in einen langatmigen Monolog und feuert seine Informationen ab, fast ohne Luft zu holen. Hier in dem dämmrigen, sogar am Tag von Laternen erleuchteten Hinterzimmer mit den Läden, die er stets geschlossen hält, um nicht bei seinem Tun beobachtet werden zu können, ähnelt er einem Geschöpf des Waldes, das sich in seinem Bau verkriecht. Wenn die Natur ihn mit überragenden Geistesgaben ausgestattet hat, hat sie sich schadlos gehalten, indem sie ihm ein anziehendes Äußeres verwehrt hat: Der Mann ist klein und dicklich, hat ein schweres Kinn, eine platte Nase und Pockennarben auf den Wangen.
    »Maria Stuart ist nie glücklich«, bemerke ich, während er fortfährt, den Brief zu untersuchen, von dem ich weiß, dass er von Lord Henry Howard stammt und auf dem Weg zu Francis Throckmorton ist, um von ihm nach Sheffield Castle gebracht zu werden. Müßig greife ich nach einer Stange Siegelwachs, die auf Phelippes’ mächtigem Schreibtisch liegt, inspiziere sie und lege sie zurück. In einer Ecke des Raumes fertigt Dumas hastig Kopien von Castelnaus Briefen an Maria an, bevor er die Originale abliefert. Seine Feder verursacht so kratzende Geräusche wie eine hinter einer Holztäfelung gefangene Maus. Ohne aufzublicken streckt Phelippes eine Hand aus und schiebt die Wachsstange mit einem unwilligen Zungenschnalzen genau dorthin zurück, wo sie ursprünglich gelegen hatte. Dann nimmt er ein Buch aus seinem Schreibtisch, blättert es hastig durch und blickt von den Seiten zu dem Papier in seiner Hand. Als er das Buch in die Höhe hält, sehe ich, dass es sich um Henry Howards Hetzschrift gegen Prophezeiungen handelt.
    »Lohnt es sich, es zu lesen?«, frage ich.
    Phelippes hebt den Kopf lange genug, dass ich den Ausdruck von Geringschätzung auf seinem Gesicht erkennen kann.
    »Es ist der Schlüssel«, redet er vor sich hin, als wäre es nicht der Mühe wert, dies jemandem zu erklären, der so offensichtlich begriffsstutzig ist. »Das Buch ist der Code. Diese Methode gehört zu den einfachsten, die man anwenden kann, deshalb hat er ihr eine Ausgabe geschickt. Seht einmal hier – die Zahlen sind in Dreiergruppen zusammengefasst.« Er hält das Papier so, dass ich die in Marias verkrampfter Handschrift zusammengequetschten Zahlenreihen erkennen kann. »Seite, Zeile, Wort. Seht Ihr? Für jeden bedeutungslos, der das Buch nicht kennt, auf das die Zahlen sich beziehen oder der keine Ausgabe davon besitzt; und der Code lässt sich theoretisch endlos variieren, weil man nie zweimal dasselbe Wort als Schlüssel benutzen muss. Maria indes ist von Natur aus bequem; sie bedient sich häufig derselben Seite als Schlüssel für häufig vorkommende Worte, statt sich die Mühe zu machen, nach anderen Grundlagen zu suchen. Was mir meine Arbeit sehr erleichtert.«
    »Demnach kennt Ihr die betreffenden Seiten auswendig?«
    »Den größten Teil davon, ja.«
    Wenn er den bewundernden Unterton in meiner Stimme bemerkt hat, lässt er es sich nicht anmerken, er spricht ohne jede Art von Stolz,

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