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Frevel: Roman (German Edition)

Frevel: Roman (German Edition)

Titel: Frevel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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ihr Schlüsselbein. Ich beuge mich vor und zeige auf das äußerste Rad des Diagramms, dabei bin ich mir der Intensität ihres Blicks in der Stille unangenehm stark bewusst.
    »Jedes Gedächtnissystem basiert auf symbolischen Bildern, da unser Gedächtnis besser dazu geeignet ist, sich an Bilder zu erinnern«, beginne ich, ohne ihr in die Augen zu sehen. »Diese Bilder hier sind nach ihren gemeinsamen Eigenschaften klassifiziert. Zum Beispiel seht Ihr in diesem Kreis die Steine und Mineralien, welche dem Planeten Mars zugeordnet werden …«
    »Von Eurem Wissen wurde in Paris viel gesprochen«, unterbricht sie, dabei dreht sie sich eine Locke um den Finger. »Es hieß, Ihr würdet König Henri lehren, Dämonen zu beschwören, damit er und die Ketzerin Elisabeth sich gegen den Papst verschwören können.«
    »Nun, Ignoranten müssen sich irgendwie die Zeit vertreiben. Diese Räder können gedreht werden, sodass sich verschiedene Verbindungsreihen ergeben …«
    »Das gehört zu den Dingen, die der Herzog von Guise zu benutzen pflegte, um Unruhen gegen den König anzuzetteln«, fällt sie mir erneut ins Wort. »Er behauptete, Ihr würdet Henri durch Hexerei manipulieren und ihn zu Euren Ketzereien bekehren, damit er Euch vor der Inquisition beschützt. Das war einer der Gründe, warum König Henri Euch vom Hof verbannt hat. Wusstet Ihr das?«
    »König Henri hat mich nicht verbannt «, widerspreche ich pikiert. »Ich wollte England besuchen. Es war meine Idee.«
    Sie lächelt spöttisch.
    »Wenn Ihr Euch das einreden wollt … Henri fürchtet den Herzog von Guise. Die Franzosen wollen keinen schwachen König, und Henri weiß das. Sie wollen einen Herrscher, der den katholischen Glauben verteidigt, nicht einen, der die Protestanten schalten und walten lässt, wie sie wollen, und der sich mit Hexerei befasst. O ja, über Euch wurde in Paris viel geredet, Bruno, auch noch, nachdem Ihr die Stadt verlassen hattet. Einige lassen verlauten, Ihr hättet in Rom einen Mann getötet.« Sie legt den Kopf schief und zieht eine Braue hoch, als wollte sie mich zu einem Geständnis herausfordern.
    »Findet Ihr, dass ich wie ein Mörder aussehe, Madame?« Ich lächele, doch meine Handflächen werden schweißfeucht. Philip Sidney hat einmal eine scherzhafte Anspielung auf dieses Ereignis gemacht, er hatte die Geschichte indessen in Italien gehört. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie mich durch Europa und über das Meer verfolgen würde.
    Wieder lacht sie, diesmal etwas wärmer.
    »Nein, aber Ihr seht auch nicht so aus, wie ich mir einen Hexenmeister vorstelle. Oder einen Ketzer oder einen Mönch.«
    »Weil ich nichts davon bin, Madame.«
    »Oh, hört doch mit Eurem Madame auf, da komme ich mir immer vor, als wäre ich hundert Jahre alt. Ich bin Marie. Einfach Marie.« Sie betrachtet einen Moment ihre Fingernägel, hierauf hebt sie den Kopf und sieht mich an. Ein leises, neugieriges Lächeln spielt um ihre Lippen. »Wer seid Ihr dann eigentlich, Bruno? Niemand in Paris wusste es. Niemand in Salisbury Court weiß es. Jeder möchte Euch wegen Eures scharfen Verstandes und Eurer gewagten Ideen gern als Gast an seiner Tafel sehen, und alle Frauen buhlen um Eure Aufmerksamkeit, aber Ihr wahrt zu allen Distanz, Ihr lasst niemanden so nah an Euch heran, dass er erkennt, wie Ihr wirklich seid. Also entstehen Gerüchte, die unsere Wissenslücken füllen sollen.«
    »Ich bin nur der Mann, den Ihr hier vor Euch seht.« Ich hebe beide Hände, wie um zu beweisen, dass ich nichts zu verbergen habe. »Weder rätselhaft noch geheimnisvoll.«
    Sie betrachtet mich lange und ausgiebig, als versuche sie, in meinen Augen zu lesen. Entschlossen, keinen Verdacht zu erregen, halte ich ihrem Blick stand. Nur das Knacken der Scheite im Kamin und unsere Atemzüge zerreißen die Stille. Ich realisiere aufs Neue, wie schön sie ist, wie eingeengt sie sich in ihrem Leben zu fühlen scheint und wie unzufrieden sie mit ihrem Los ist; mit ihrem alternden Ehemann, der nur mit Staatsangelegenheiten beschäftigt ist, und mit ihrer kleinen Tochter. Ich erinnere mich, wie gereizt sie mit ihrem Kind umgegangen ist, wie gezwungen, als würde sie die Mutterrolle nur widerwillig ausfüllen. Vorübergehend denke ich über den Weg nach, der vor einer jungen Frau von hoher Geburt liegt: wie kurz sie in vollem Glanz erstrahlen, in der Öffentlichkeit auftreten und sich bewundern lassen darf – genauso lange, wie es dauert, einen passenden Ehemann für sie zu finden. Ihr

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