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Frevelopfer

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Titel: Frevelopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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störe dich nicht«, entgegnete Elínborg und sah auf ihre Uhr. Es war schon nach zehn.
    »Du störst mich gar nicht«, erklärte Valdimar. »Ich arbeite ja nur an dem Traktor, was anderes liegt im Augenblick nicht an. Willst du mit mir über Runólfur sprechen?«
    »Soweit ich gehört habe, wart ihr befreundet, als er noch hier lebte. Hattest du noch Verbindung zu ihm?«
    »Nein, kaum noch, nachdem er weggezogen ist. Ich habe ihn einmal besucht, als ich in Reykjavík war.«
    »Du hast keine Ahnung, wer ihm nach dem Leben getrachtet haben könnte?«
    »Nein, keine Ahnung. Aber wie gesagt, ich hatte ja auch gar keinen Kontakt mehr zu ihm. Ich bin seit Jahren nicht in Reykjavík gewesen. Ich hab gelesen, dass man ihm die Kehle durchgeschnitten hat.«
    »Das stimmt.«
    »Wisst ihr, weshalb?«
    »Nein. Wir wissen noch sehr wenig. Ich bin gekommen, um mit seiner Mutter zu sprechen. Wie war Runólfur als Junge?«
    Valdimar legte den dreckigen Lappen weg, öffnete eine Thermoskanne und goss sich Kaffee ein. Er sah Elínborg fragend an, aber sie verneinte dankend.
    »Hier kennen sich natürlich alle«, sagte er. »Er war älter als ich, deswegen haben wir als Jungen nicht so viel miteinander gespielt. Er war im Vergleich zu uns anderen hier im Dorf eher still, aber er wurde auch strenger erzogen.«
    »Wart ihr denn befreundet?«
    »Nein, das kann man eigentlich nicht behaupten, eher, dass wir uns relativ gut gekannt haben. Er ist schon sehr früh von hier weggezogen. Die Dinge ändern sich, auch in einem Nest wie diesem hier.«
    »Ist er dann aufs Gymnasium gegangen?«
    »Nein, er ging nach Reykjavík, um dort zu arbeiten. Das war sein einziges Ziel. Er hat ständig darüber geredet, dass er gehen würde, sobald sich ihm die Möglichkeit dazu böte. Vielleicht sogar ins Ausland. Auf jeden Fall hatte er nicht vor, sein Leben hier in diesem Kaff zu vergeuden, diesem Scheißkaff, wie er sich ausdrückte. Für mich ist das nie ein Scheißkaff gewesen, ich hab mich hier immer wohlgefühlt.«
    »Weiß du, ob er sich für Actionhelden in amerikanischen Filmen interessiert hat?«
    »Weshalb fragst du danach?«
    »Weil uns da etwas in seiner Wohnung aufgefallen ist«, sagte Elínborg, ohne die Plakate und Figuren zu erwähnen.
    »Ich kann dazu nichts sagen. Als er noch hier lebte, ist mir das jedenfalls nicht aufgefallen.«
    »Seiner Mutter wird nachgesagt, dass sie Haare auf den Zähnen hat. Du hast von strenger Erziehung gesprochen.«
    »Ihr saß die Hand ziemlich locker«, sagte Valdimar und trank einen Schluck Kaffee. Er holte einen Keks aus seiner Tasche und tunkte ihn in den Kaffee. »Sie hatte ihre eigenen Erziehungsmethoden. Ich habe nie gesehen, dass sie ihn geschlagen hat, aber er hat erzählt, dass sie das tat. Mir gegenüber allerdings nur ein einziges Mal. Ihm war das peinlich, er hat sich dafür geschämt. Er hatte nie eine gute Beziehung zu seiner Mutter. Ihre Erziehung war irgendwie nicht gut. Sie konnte ordentlich vom Leder ziehen. Sie hat ihn manchmal vor uns Kindern regelrecht fertiggemacht.«
    »Und sein Vater?«
    »Der war ein richtiger Duckmäuser, der arme Mann. Er hat sich immer zurückgehalten.«
    »Er ist bei einem Unfall ums Leben gekommen.«
    »Das passierte vor einigen Jahren, nachdem Runólfur nach Reykjavík gegangen war.«
    »Hast du irgendeine Idee, weshalb es mit Runólfur ein solches Ende genommen hat?«
    »Nein, überhaupt nicht. Das ist einfach nur furchtbar. Furchtbar, dass so etwas passieren kann.«
    »Weißt du vielleicht etwas über Frauen in seinem Leben?«
    »Frauen?«
    »Ja.«
    »In Reykjavík?«
    »Ja, oder überhaupt.«
    »Darüber weiß ich nichts. Geht es um Frauen?«
    »Nein«, sagte Elínborg, »oder besser, wir wissen es nicht. Wir haben keine Ahnung, was passiert ist.«
    Valdimar stellte den Becher ab und holte einen Schraubenschlüssel aus einem Werkzeugkasten. Er ging bedächtig vor, seine Bewegungen waren langsam und sicher. In einem anderen Kasten suchte er nach einer Schraube. Er wühlte mit den Fingern darin herum, bis er eine in der richtigen Größe gefunden hatte. Elínborg sah sich den Traktor an. Es gab wahrscheinlich keinen Grund, sich in dieser Werkstatt zu beeilen. Trotzdem war er so spät abends immer noch bei der Arbeit.
    »Mein Mann ist Automechaniker«, rutschte es Elínborg ganz ohne Absicht heraus. Normalerweise war es nicht ihre Art, Unbekannten etwas über sich zu erzählen, aber hier in der Werkstatt war es warm, und der Mann machte einen freundlichen,

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