Frevelopfer
ein und ließ es einige Stunden ziehen, bevor sie den Tontopf aus dem Schrank holte.
Manchmal spritzte etwas von der Marinade auf die glühenden Kohlen, wodurch der starke Tandoori-Duft, den Elínborg auch an dem Tuch wahrgenommen hatte, noch mehr zur Geltung kam. Sie konnte sich vorstellen, dass die Besitzerin des Tuchs in einem indischen Restaurant arbeitete, aber es war auch denkbar, dass sie sich, genau wie Elínborg, für indische Küche interessierte, vor allem für Tandoori-Gerichte. Vielleicht besaß sie einen Tandoori-Topf und all die Kräuter, die erforderlich waren, um das Gericht zu einer unwiderstehlichen Angelegenheit zu machen.
Das ältere Ehepaar war gegangen. Die drei Männer, die sich das Fußballspiel angesehen hatten, standen auf, als es zu Ende war. Elínborg blieb noch eine Weile sitzen, erhob sich dann aber auch, bezahlte bei der Wirtin und bedankte sich für das gute Essen. Sie unterhielten sich noch ein wenig über das Brot, das Elínborg so lecker gefunden hatte. Die Frau wollte wissen, weshalb sie in das Dorf gekommen war. Elínborg nannte ihr den Grund.
»Er war mit meinem Sohn in der Grundschule«, sagte die Frau hinter dem Tresen. Sie trug einen ärmellosen schwarzen Pulli, war recht gut gepolstert, hatte stämmige Oberarme und einen stattlichen Busen. »Ja, das war er«, fügte sie hinzu und erklärte, dass sie in den Nachrichten von seinem Tod gehört hatte. Runólfurs Name war in aller Munde.
»Du hast ihn also gekannt?«, fragte Elínborg und sah zum Fenster hinaus. Es hatte wieder angefangen zu schneien.
»Hier kennen sich alle. Runólfur war ein ziemlich normaler Junge, vielleicht ein bisschen bockig. Er ging von hier weg, sobald er konnte, wie die meisten Jugendlichen. Ich hatte nicht viel mit ihm zu tun. Ich weiß nur, dass Kristjana ziemlich streng mit ihm war, ihr saß die Hand ziemlich locker, wenn er etwas ausgefressen hatte. Die Frau hat Haare auf den Zähnen. Sie hat hier im Gefrierhaus gearbeitet, bis sie dichtgemacht haben.«
»Gibt es hier im Dorf noch Freunde von ihm?«
Die Frau mit den kräftigen Oberarmen überlegte.
»Die sind alle weg«, sagte sie. »Die Hälfte der Leute hier ist weggezogen.«
»Ich verstehe«, sagte Elínborg. »Also dann, vielen Dank.«
Beim Hinausgehen fiel Elínborgs Blick auf ein einfaches Gestell mit Videobändern und dvd s, das in einer Nische beim Ausgang stand. Elínborg sah sich selten Spielfilme an, höchstens wenn die Jungen mit etwas Interessantem nach Hause kamen. Krimis sah sie sich nie an, und für Liebesfilme mangelte es ihr an Geduld. Am liebsten mochte sie Filme, bei denen man lachen konnte. Theodóra hatte einen ähnlichen Geschmack, und manchmal liehen sie sich irgendwelche Komödien aus, während Teddi und die Jungs Thriller konsumierten.
Elínborg überflog das Angebot und sah einen oder zwei Filme, die sie kannte. Ein ungefähr zwanzigjähriges Mädchen, das sich gerade etwas aussuchte, blickte zu Elínborg hinüber und grüßte.
»Bist du von der Kripo in Reykjavík?«, fragte sie.
Elínborg ging davon aus, dass sich ihr Eintreffen im Dorf ziemlich schnell herumgesprochen hatte.
»Ja«, sagte sie.
»Es gibt jemanden hier im Dorf, der ihn gekannt hat«, sagte das Mädchen.
»Ihn? Du meinst …?«
»Runólfur. Er heißt Valdimar, und ihm gehört die Autowerkstatt hier im Dorf.«
»Und wer bist du?«
»Ich wollte nur kurz nachschauen, was für Filme da sind«, sagte das Mädchen und sauste an Elínborg vorbei zur Tür hinaus.
Elínborg ging bei dichtem Schneetreiben durch den Ort und fand die kleine Werkstatt am nördlichen Ende des Dorfs. Von einer Lampe über der halb offenen Schiebetür des alten Hauses ging ein schwacher Lichtschein aus. Das Schild mit dem Namen der Werkstatt, das über dem Eingang zum Büro hing, war unleserlich. Es sah aus, als sei mit einer Schrotflinte darauf geschossen worden. Sie ging am Büro vorbei in die Werkstatt. Hinter einem großen Traktor kam ein Mann um die dreißig zum Vorschein. Er hatte eine verbeulte Baseballkappe auf dem Kopf und trug eine Latzhose, die ursprünglich einmal blau gewesen war, jetzt aber starrte sie vor Dreck. Elínborg stellte sich vor. Der Mann putzte sich die Finger an einem dreckigen Baumwolllappen ab, während er Elínborg begrüßte, unschlüssig, ob er ihr die schmierige Hand reichen sollte. Er war schlank und schlaksig. Er sagte, er heiße Valdimar.
»Ich habe gehört, dass du hier bist«, sagte er. »Wegen Runólfur.«
»Ich hoffe, ich
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