Frevelopfer
vertrauenerweckenden und sympathischen Eindruck. Unterdessen hatte draußen das Schneetreiben zugenommen. Sie kannte niemanden hier am Ort und vermisste ihre Familie.
»Ach so«, sagte Valdimar. »Hat er dann nicht auch immer schwarze Hände?«
»Das verbiete ich ihm«, sagte Elínborg lächelnd. »Ich glaube, er war einer der ersten Automechaniker hierzulande, wenn nicht sogar auf der Welt, der Handschuhe benutzt.«
Valdimar blickte auf seine dreckigen Hände. Elínborg bemerkte alte Narben auf dem Handrücken und an den Fingern. Von Teddi wusste sie, dass sie von Auseinandersetzungen mit Motorteilen stammten. Er war offensichtlich nicht immer vorsichtig genug bei der Arbeit gewesen, war zu ungestüm vorgegangen, oder das Werkzeug war abgenutzt gewesen.
»Dazu braucht man wohl eine Frau«, sagte er.
»Ich kaufe ihm auch eine Salbe für die Hände, die hat sich bewährt«, sagte Elínborg. »Du wolltest nicht wie all die anderen von hier weg?«
Sie sah, dass Valdimar ein Lächeln zu unterdrücken versuchte.
»Ich weiß nicht, was das mit der Sache zu tun hat«, sagte er.
»Es fiel mir einfach spontan ein«, entgegnete Elínborg etwas verlegen. Der Mann hatte diesen Einfluss auf sie, er war so geradeheraus und nicht aus der Ruhe zu bringen.
»Ich habe immer hier gewohnt und nie Interesse daran gehabt, von hier wegzuziehen«, sagte er. »Ich mag keine Veränderungen. Ich bin ein paar Mal in Reykjavík gewesen, und was ich da sehe, gefällt mir nicht. Dieser ewige Wettlauf, dieses Konsumdenken, das sich nur auf tote Gegenstände richtet, größere Häuser, tollere Autos. Die Leute können ja schon bald kein Isländisch mehr, die hängen in den Schnellrestaurants herum und werden fett. Ich weiß nicht, ob das alles noch isländisch ist. Ich glaube, wir ersticken in ausländischen Unsitten.«
»Ein Freund von mir denkt etwa so wie du.«
»Recht hat er.«
»Und du hast ja wahrscheinlich auch Familie hier«, sagte Elínborg.
»Ich habe keine Familie«, sagte Valdimar und verschwand unter dem Traktor. »Ich habe nie eine gehabt, und wahrscheinlich wird auch jetzt nichts mehr daraus.«
»Das kann man nie wissen«, erlaubte Elínborg sich zu sagen.
Valdimar schaute unter dem Traktor hervor.
»Sonst noch was?«, fragte er.
Elínborg lächelte und schüttelte den Kopf, entschuldigte sich noch einmal für die Störung und ging wieder hinaus in das Schneetreiben.
* * *
Als sie zur Pension zurückkehrte, traf sie vor der Tür die Frau, die sie im Lokal bedient hatte. Die Schürze trug sie immer noch. »Lauga« stand auf dem kleinen Namensschild an ihrer Brust. Die Frau kam gerade aus dem Haus, und Elínborg überlegte, ob sie womöglich auch an der Pension beteiligt war. Das Wort »Synergie-Effekt« kam ihr in den Sinn.
»Ich habe gehört, dass du dich mit Valdi unterhalten hast«, sagte Lauga, während sie Elínborg die Tür aufhielt. »Hat es etwas gebracht?«
»Nicht viel«, antwortete Elínborg, die sich wunderte, wie schnell sich ihre Unternehmungen im Ort herumsprachen.
»Nein, er ist kein gesprächiger Typ. Aber er ist ein guter Junge.«
»Er scheint viel zu arbeiten; er war immer noch bei der Arbeit, als ich ging.«
»Es gibt ja hier auch nicht so viel Ablenkung«, erklärte Lauga. »Dafür interessiert er sich nun mal, und das schon seit jeher. War es der Traktor?«
»Ja, er hat an einem Traktor gearbeitet.«
»Ich glaube, an dem arbeitet er schon bald zehn Jahre. Ich kenne keinen anderen Traktor, an dem so liebevoll herumgedoktert wird. Der ist wie ein Schmusetier für ihn. Daher hat er auch seinen Spitznamen: Sie nennen ihn Valdimar Ferguson.«
»Ja, also, ich muss morgen sehr früh wieder los, deswegen …«, sagte Elínborg.
»Ja, natürlich, entschuldige. Ich habe nicht vor, dich die ganze Nacht wach zu halten.«
Elínborg lächelte. Sie blickte in Richtung Dorf, das wie ausgestorben wirkte und mehr oder weniger im Schneetreiben verschwunden war.
»Die Kriminalitätsrate ist sicher nicht sehr hoch hier bei euch«, sagte sie.
Lauga zog die Tür zu. »Nein, so viel steht fest«, antwortete sie lächelnd. »Hier passiert nie etwas.«
Elínborg wäre vermutlich im gleichen Moment eingeschlafen, in dem ihr Kopf das Kissen berührte, wenn da nicht diese unbedeutende kleine Szene gewesen wäre, die ihr nicht aus dem Kopf ging. Sie wusste nicht, was sie für eine Bedeutung hatte, falls denn überhaupt etwas dahintersteckte. Das Mädchen, das ihr im Videoverleih begegnet war, hatte ganz leise
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