Frevelopfer
allein?«
»Ja.«
»Und es war Runólfur?«
»Ja. Nein. Er nannte sich Runólfur, aber er war es nicht.«
»Es war nicht der Runólfur, der ermordet wurde?«
»Nein. Es war nicht derselbe Mann wie auf dem Foto in den Zeitungen.«
»Er hat sich also nur als Runólfur ausgegeben?«
»Das weiß ich doch nicht. Vielleicht hieß er ja auch wirklich so. Vielleicht ist das einfach ein Zufall. Du glaubst doch nicht, dass ich irgendein Interesse daran habe, das herauszufinden?«
»Wie sah er aus?«
»Daran kann ich mich nicht erinnern.«
»Versuch’s doch mal.«
»Ungefähr so groß wie ich, wahrscheinlich Mitte dreißig und schon ziemlich kahl. Feiste Visage und ein kleines Bärtchen. Ich erinnere mich nicht so genau.«
Elínborg sah Valur an. Plötzlich sah sie den Mann vor sich, mit dem sie im Dezernat gesprochen hatte. Runólfurs Freund Eðvarð. Die Beschreibung passte ziemlich gut, kaum noch Haare auf dem Kopf und ein zauseliges Bärtchen.
»Noch etwas?«, fragte sie.
»Nein, mehr weiß ich nicht.«
»Vielen Dank.«
»Ihr könnt mich mal. Verpisst euch.«
»Valur kümmert sich zumindest gut um sein Kind«, sagte Elínborg, als sie wieder im Auto saßen. »Die Windel war trocken, und die Kleine hatte erst kurz zuvor etwas zu essen bekommen. Sie war ganz glücklich bei ihrem Papa.«
»Er ist ein Arschloch.«
»Natürlich.«
»Hat Erlendur sich bei dir gemeldet?«, fragte Sigurður Óli.
»Nein, ich hab nichts von ihm gehört. Hat er nicht gesagt, dass er ein paar Tage in die Ostfjorde fahren wollte?«
»Wie lange ist das her?«
»Über eine Woche.«
»Wie lange wollte er Urlaub machen?«
»Keine Ahnung.«
»Was will er überhaupt in den Ostfjorden?«
»Die alte Heimat besuchen.«
»Und diese Frau, mit der er sich trifft, hast du von der gehört?«
»Valgerður? Nein. Ich sollte vielleicht einmal bei ihr anrufen und fragen, ob er sich bei ihr gemeldet hat.«
Dreizehn
Es war schon Abend, als sie bei Eðvarð vorfuhren. Er war unverheiratet, hatte keine Kinder und wohnte in einem heruntergekommenen Haus etwas unterhalb der Vesturgata. Sein Auto stand vor dem Haus, ein japanischer Kombi, der nicht mehr der Jüngste war. Sie konnten keine Klingel entdecken, und Elínborg klopfte an die Haustür. Sie hörten zwar ein Geräusch im Haus, aber niemand kam zur Tür. In zwei Fenstern war Licht zu sehen, und sie hatten auch den bläulichen Widerschein von einem Fernseher bemerkt, der aber plötzlich erlosch. Sie klopften ein zweites und ein drittes Mal. Sigurður Óli war mit seiner Geduld schon fast am Ende, als Eðvarð endlich die Haustür öffnete. Er erkannte Elínborg sofort wieder.
»Stören wir?«, fragte sie.
»Ja, nein, es ist … Stimmt etwas nicht?«
»Wir möchten dir gern noch ein paar Fragen über Runólfur stellen«, sagte Elínborg. »Dürfen wir hereinkommen?«
»Ihr kommt eigentlich sehr ungelegen«, erklärte Eðvarð. »Ich … Ich wollte gerade gehen.«
»Es dauert nicht lange«, warf Sigurður Óli ein.
Sie standen auf dem Treppenabsatz, und Eðvarð machte keine Anstalten, sie hereinzulassen. »Ich kann eigentlich im Augenblick keinen Besuch empfangen«, sagte er. »Mir wäre es lieber, wenn ihr morgen kommen könntet.«
»Ich fürchte, das können wir nicht«, sagte Elínborg. »Es geht wie gesagt um Runólfur, und wir müssen jetzt mit dir reden.«
»Was ist mit Runólfur?«, fragte Eðvarð.
»Es ist nicht gerade angenehm, hier draußen vor dem Haus mit dir zu sprechen.«
Eðvarð sah auf die Straße. Um das Haus herum war es dunkel, das Licht der Straßenlaternen reichte nicht bis zu ihnen, und ein Außenlicht gab es nicht. Das Haus hatte keinen Garten, aber an der Hauswand stand ein einzelner Baum, eine tote Erle mit kahlen, krüppeligen Ästen, die sich wie eine Pranke über das Haus legten.
»Na schön, dann kommt herein. Ich habe keine Ahnung, was ihr von mir wollt«, hörten sie ihn murmeln. »Wir waren ja bloß befreundet.«
Er führte sie in ein kleines Wohnzimmer mit Möbeln, denen man ihr Alter deutlich ansah. An einer Wand befand sich ein ziemlich neuer Flachbildschirm, und ein ebenfalls neuer Rechner mit dem größten verfügbaren Monitor stand auf dem Schreibtisch. Computerspiele verschiedener Art lagen überall herum oder standen aufgereiht im Regal, außerdem eine Unmenge an Spielfilmen auf dvd und Videokassetten. Dazwischen lagen Schulhefte und Unterrichtsbücher auf den Tischen und Stühlen.
»Korrigierst du gerade Hausarbeiten?«, fragte
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