Frevelopfer
teilgenommen und einige Male kleine Preise gewonnen, die er in einer Schublade aufbewahrte. Jetzt machte sich das Alter bemerkbar, denn er musste sich am Nachmittag immer ein wenig hinlegen, damit er abends beim Spiel wach und aufmerksam war.
»Bist du das, meine Liebe?«, fragte ihre Mutter, als Elínborg die Tür öffnete. Elínborg hatte immer noch einen Hausschlüssel.
»Ich habe gedacht, ich schau mal vorbei.«
»Es ist doch hoffentlich alles in Ordnung?«
»Doch. Wie geht es dir?«, fragte Elínborg.
»Gut. Ich überlege, ob ich einen Buchbindekurs besuchen soll«, sagte ihre Mutter, die im Wohnzimmer saß und eine Zeitungsanzeige vor sich liegen hatte. »Meine Freundin hat so etwas gemacht und gesagt, ich solle das unbedingt auch tun.«
»Das ist doch eine gute Idee! Vielleicht kannst du Papa ja auch dazu bringen?«
»Ach, der hat doch keine Lust zu nichts. Wie geht es Teddi?«
»Prima.«
»Und dir?«
»Gut. Viel zu tun.«
»Das kann man dir ansehen, du wirkst irgendwie müde. Ich hab über diesen fürchterlichen Mord in Þingholt gelesen. Ich hoffe bloß, dass du nichts damit zu tun hast. So was ist doch nichts für normale Leute.«
Elínborg kannte diese Litanei. Ihre Mutter hatte es nicht gern gesehen, dass sie bei der Polizei hängen geblieben war, wie sie sich ausdrückte. Sie war der Meinung, dass dieser Beruf nicht gut genug für ihre Tochter war. Nicht weil sie etwas gegen den Beruf als solchen einzuwenden hatte, sondern weil ihr der Gedanke widerstrebte, dass Elínborg sich mit ordinären Verbrechern herumschlagen musste. In ihrer Vorstellung waren es Menschen von ganz anderem Schlag, die hinter Verbrechern her waren, sie verhafteten, verhörten und einsperrten. Zu denen gehörte Elínborg einfach nicht. Elínborg hatte nie Lust gehabt, sich mit ihrer Mutter über ihren Beruf zu streiten. Sie wusste, dass ihre Mutter nur deswegen immer wieder darauf zu sprechen kam, weil sie Angst um ihre Tochter hatte, die sich mit all diesen Verbrechern abgeben musste. Elínborg hatte sich darauf eingestellt und beschönigte oder verharmloste nach besten Kräften den Anteil, den sie an der Aufklärung von Gewaltverbrechen hatte, um ihrer Mutter unnötige Sorgen zu ersparen. Vielleicht war sie in ihrer guten Absicht zu weit gegangen. Manchmal hatte Elínborg den Eindruck, dass ihre Mutter alles zu verdrängen versuchte, was die Arbeit ihrer Tochter betraf.
»Ja, manchmal überlegt man schon, wieso man sich eigentlich damit herumschlägt«, sagte sie.
»Natürlich«, stimmte ihre Mutter zu. »Wie wär’s mit einer heißen Schokolade?«
»Nein danke. Ich wollte bloß kurz hereinschauen und sehen, ob bei euch alles in Ordnung ist. Ich muss nach Hause.«
»Jetzt hör aber mal, meine Liebe, das geht doch ganz fix. Du hast doch lauter selbstständige Leute um dich. Relax einfach mal ein bisschen.«
Im Handumdrehen hatte ihre Mutter einen Topf aus dem Schrank geholt, ihn ins Wasserbad gestellt, und schon bald begann die Schokolade zu schmelzen. Elínborg setzte sich an den Küchentisch. Die Handtasche ihrer Mutter hing an einem Stuhl, und sie erinnerte sich daran, wie angenehm sie als Kind den Geruch gefunden hatte, der von dieser Tasche ausging. Wenn sie sehr unter Druck stand und das Bedürfnis verspürte, sich für eine kurze Zeit auszuklinken und sich wieder auf ihren Platz im Dasein zu besinnen, tat es ihr einfach gut, ihr altes Zuhause zu besuchen.
»Es ist gar nicht so schlimm«, sagte Elínborg. »Manchmal gelingt es uns ja, etwas in bessere Bahnen zu lenken, Leute zu verhaften, Gewalt zu verhindern, den Opfern zu helfen.«
»Natürlich«, sagte ihre Mutter. »Ich weiß bloß nicht, weshalb ausgerechnet du dich damit befassen musst. Ich hätte nie geglaubt, dass du so lange bei der Polizei bleiben würdest.«
»Nein«, sagte Elínborg. »Ich weiß. Es hat sich eben so ergeben.«
»Das mit der Geologie habe ich eigentlich auch nicht verstanden. Oder das mit Bergsveinn.«
»Er heißt Bergsteinn, Mama.«
»Keine Ahnung, was du an ihm gefunden hast. Mit Teddi, das ist eine ganz andere Sache. Der ist zuverlässig. Der würde dich nie betrügen. Und wie geht es Valþór?«
»Gut, glaube ich. Wir reden im Augenblick nicht so viel miteinander.«
»Ist es immer noch wegen Birkir?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht ist er einfach in einem schwierigen Alter.«
»Ja, natürlich, er wird jetzt erwachsen. Er wird schon wieder zu dir finden. Ein prächtiger Junge. Und so begabt.«
Theodóra aber auch,
Weitere Kostenlose Bücher