Frevelopfer
Elínborg.
»Du meinst das hier?«, sagte Eðvarð und deutete auf einen Stapel Hefte auf seinem Schreibtisch. »Ja, die muss ich bald zurückgeben. So was häuft sich immer bei einem an.«
»Sammelst du Filme?«, fragte Elínborg.
»Nein, ich sammle sie eigentlich nicht, ich bin kein Sammler. Aber ich besitze eine ganze Menge, wie du siehst. Ich kaufe manchmal günstig ein, wenn irgendein Videoverleih Pleite macht. Dann bekommt man sie fast geschenkt, ein Film kostet dann vielleicht nur noch hundert Kronen.«
»Hast du die alle gesehen?«, fragte Sigurður Óli.
»Nein, oder doch, vielleicht. Die meisten jedenfalls.«
»Als wir uns das letzte Mal unterhalten haben, hast du gesagt, dass du Runólfur gut gekannt hast«, sagte Elínborg.
»Ja, ziemlich gut. Ich mochte ihn.«
»Das gleiche Interesse für Filme, wenn ich mich richtig erinnere.«
»Ja, wir sind manchmal zusammen ins Kino gegangen.«
Elínborg bemerkte, dass Eðvarð unsicherer war als bei ihrer ersten Begegnung. Es schien ihm sehr unangenehm zu sein, Besuch zu haben. Er vermied den Augenkontakt, und seine Hände, die auf dem Schreibtisch umherirrten, hatte er anscheinend kaum unter Kontrolle. Er machte einen Versuch, sie in seinen Taschen zu vergraben, doch im nächsten Moment kratzte er sich schon wieder am Kopf oder an den Armen oder fummelte an den dvd -Hüllen herum. Elínborg beschloss, der Unsicherheit, die ihn plagte, ein Ende zu machen. Sie nahm einen Film, der auf einem Stuhl neben ihr lag, zur Hand. Es war ein alter Hitchcock-Film, Der Mieter . Elínborg hatte sich sorgfältig auf das Gespräch mit Eðvarð vorbereitet und wollte gerade die erste Frage stellen, doch Sigurður Óli war der Geduldsfaden endgültig gerissen. Das passierte ihm besonders häufig, wenn er merkte, dass sein Gegenüber schwach war und wenig Selbstvertrauen besaß. Dafür hatte er ein gutes Gespür.
»Weshalb hast du uns nichts davon gesagt, dass du eine Vergewaltigungsdroge gekauft hast?«, fragte er Eðvarð.
»Was?«
»Und dich als Runólfur ausgegeben hast. Hast du das Zeug für ihn gekauft?«
Elínborg starrte Sigurður Óli entgeistert an. Sie hatte ihm vorher klar zu verstehen gegeben, dass sie die Gesprächsführung übernehmen würde. Er sollte nur zu ihrer Unterstützung dabei sein.
»Weshalb hast du dich als Runólfur ausgegeben?«, fuhr Sigurður Óli unbeirrt fort und sah Elínborg an. Er wusste nicht, wie er ihre bitterböse Miene deuten sollte, denn er fand, dass er seine Sache sehr gut machte.
»Ich weiß nicht … was …?«, murmelte Eðvarð und vergrub seine Hände in den Taschen.
»Wir haben mit einem Mann gesprochen, der dir vor ungefähr einem halben Jahr Rohypnol verkauft hat«, sagte Sigurður Óli.
»Die Beschreibung passt auf dich«, ergänzte Elínborg. »Er sagt, dass du dich als Runólfur ausgegeben hast.«
»Die Beschreibung?«, fragte Eðvarð.
»Er hat dich genau beschrieben«, sagte Elínborg.
»Also?«, sagte Sigurður Óli.
»Was, also?«, sagte Eðvarð.
»Stimmt das?«, fragte Sigurður Óli.
»Wer behauptet das?«
»Dein Dealer!«, schrie Sigurður Óli. »Versuch doch mal, uns zuzuhören.«
»Würdest du gestatten, dass ich mit ihm rede?«, sagte Elínborg ganz ruhig.
»Wenn er sich dumm stellt, dann sag ihm, dass wir mit ihm zu dem Dealer gehen und die beiden einander gegenüberstellen.«
»Ich habe es für Runólfur getan«, sagte Eðvarð, als er Sigurður Ólis Drohung hörte. »Er hatte mich darum gebeten.«
»Wozu wollte er das Mittel benutzen?«, fragte Elínborg.
»Er sagte mir, er hätte Schlafprobleme.«
»Weshalb ist er dann nicht einfach zum Arzt gegangen und hat es sich von ihm verschreiben lassen?«
»Ich hatte keine Ahnung, was genau dieses Rohypnol war, das wurde mir erst klar, nachdem er tot war. Ich hatte wirklich keine Ahnung.«
»Bildest du dir tatsächlich ein, dass wir dir das glauben?«, fragte Elínborg.
»Denk bloß nicht, dass du hier irgendwelche Deppen vor dir hast«, fügte Sigurður Óli hinzu.
»Nein, im Ernst. Ich weiß nichts über Drogen.«
»Wie hat Runólfur von diesem Mann erfahren?«, fragte Elínborg.
»Das hat er mir nicht gesagt.«
»Soweit wir wissen, hast du dem Dealer gegenüber behauptet, dass du den Tipp von einem Verwandten bekommen hast.«
Eðvarð überlegte einen Augenblick.
»Er wollte das unbedingt wissen, der Kerl, der mir das Zeug verkauft hat. Er war total gestresst und wollte wissen, wie ich hieße und wer mich an ihn verwiesen hätte.
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