Frevelopfer
mir vielleicht Bescheid, wenn du den Bohrer findest«, sagte er zum Abschied. »Und vielleicht sieht man sich ja mal wieder.«
Sie war bekannt dafür, gutes Essen zu kochen, und sie hatte Spaß daran, ihre Freundinnen einzuladen und etwas Neues auszuprobieren. Ihr Interesse für die indische Küche war erwacht, als sie eine Zeit lang als Kellnerin in einem indischen Restaurant gearbeitet hatte. Dabei hatte sie natürlich auch die Köche kennengelernt und gute Tipps von ihnen bekommen. Mit der Zeit hatte sie sich ein ansehnliches Sortiment an Gewürzen zugelegt und Rezepte für Gerichte mit Hähnchen- oder Schweinefleisch gesammelt und, genau wie Elínborg, viel mit Lammfleisch experimentiert. An dem Abend, als sie Runólfur wiedergetroffen hatte, hatte sie ihre Freundinnen zu einem Lammgericht eingeladen, das sie in dem Tandoori-Topf zubereitet hatte, den ihr Vater ihr zum Geburtstag geschenkt hatte. Sie waren zu ihr in die Fálkagata gekommen, und gegen Mitternacht waren sie zusammen ins Zentrum gegangen, hatten sich aber bald aus den Augen verloren. Als Runólfur sie ansprach, hatte sie gerade vorgehabt, nach Hause zu gehen.
Da sie nicht viel getrunken hatte, war sie sehr überrascht, dass sie sich an so gut wie gar nichts erinnern konnte. Aber dann hatte sie in der Zeitung gelesen, dass man in Runólfurs Wohnung Rohypnol gefunden hatte. Vor dem Essen hatten sie einen Martini-Cocktail zu sich genommen, und zum indischen Lamm hatte sie Rotwein getrunken. Das Essen hatte sie durstig gemacht, und deswegen hatte sie in dem Lokal ein Bier bestellt.
Sie konnte sich nur an ganz wenige Dinge erinnern, die passiert waren, nachdem sie Runólfur in dem Lokal wiedergetroffen hatte. Sie wusste noch, dass es in dem Gespräch zunächst um San Francisco gegangen war. Sie hatte ihm erzählt, dass sie ihren Bruder dort besucht hatte. Er hatte sie zu einem weiteren Bier eingeladen, als kleine Entschädigung für die absurd hohe Rechnung des Telefonanbieters. Sie hatte sich dazu überreden lassen, aber einen Blick auf die Uhr geworfen, während er die Getränke holte, denn sie beabsichtigte nicht, noch lange zu bleiben.
An den Weg zu seiner Wohnung im Þingholt-Viertel konnte sie sich nur noch bruchstückhaft erinnern. Sie fühlte sich schwer betrunken, hatte kaum Kontrolle über ihre Bewegungen und war völlig willenlos.
Es war schon weit nach Mitternacht, als sie langsam wieder zur Besinnung kam. Spiderman starrte von der Wand auf sie herab und schien zum Sprung auf sie anzusetzen.
Zuerst war sie vollkommen orientierungslos und glaubte, bei sich zu Hause zu sein. Dann merkte sie aber, dass das nicht stimmen konnte, und ihr kam der Gedanke, dass sie vielleicht in der Kneipe eingeschlafen war.
Das war aber auch undenkbar. Nach und nach wurde ihr klar, dass sie in einem wildfremden Bett lag, in einem wildfremden Zimmer. Sie war völlig verstört und fühlte sich unglaublich müde. Außerdem war ihr übel, und sie hatte die größten Probleme, sich an irgendetwas zu erinnern. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie dort in dem Bett gelegen hatte. Auf einmal wurde ihr klar, dass sie splitterfasernackt war.
Als sie an sich hinuntersah, fand sie diese Tatsache vollkommen absurd. Sie war so neben der Spur, dass sie nicht einmal den Versuch machte, ihre Nacktheit zu verhüllen.
Spiderman starrte auf sie herunter. Sie stellte sich vor, er sei hier, um ihr zu Hilfe zu kommen, und bei dem Gedanken musste sie unwillkürlich lächeln. Sie und Spiderman.
Sie schlief noch einmal ein, und als sie erneut erwachte, war ihr kalt. Sie zitterte am ganzen Körper. Sie lag nackt in einem unbekannten Bett.
»Großer Gott«, stöhnte sie, griff nach der Bettdecke auf dem Fußboden und wickelte sie um sich. Das Zimmer kannte sie nicht. Sie rief in die Wohnung hinein: Hallo! Aber es kam keine Reaktion. Alles, was sie hörte, war eine seltsame Stille. Vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend, gelangte sie ins Wohnzimmer, fand einen Schalter und sah den Mann auf dem Boden liegen. Er lag auf dem Rücken, und sie erinnerte sich, dass sie ihn schon einmal gesehen hatte, wusste aber nicht, wo.
Dann sah sie das Blut.
Und den Schnitt quer über den Hals.
Sie musste würgen. Das bleiche Gesicht des Mannes und die rote klaffende Wunde starrten ihr entgegen. Seine Augen waren nur halb geschlossen, und es kam ihr so vor, als sähe er sie anklagend an.
Als wollte er sagen: Das hast du getan!
»Als ich endlich mein Handy fand, habe ich zu Hause
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