Frevelopfer
dass du mit Runólfur in der Wohnung eingeschlossen warst?«
»Nein.«
»Hast du ihn schon vorher verständigen können? Hast du ihm gesagt, wo du warst und dass du in Gefahr schwebst? Ist er gekommen, um dich zu retten?«
»Nein, auf keinen Fall.«
»Du kannst dich angeblich nur an ganz wenig erinnern, aber das weißt du ganz genau?«
»Ich … Ich …«
»Glaubst du nicht, dass dein Vater genauso gut auf Runólfur losgegangen sein könnte?«
»Papa?«
»Ja.«
»Du willst mich doch nur verunsichern.«
»Lassen wir das«, lenkte Elínborg ein. »Im Augenblick habe ich keine Fragen mehr.«
Sie verließ den Verhörraum und ging in ihr Büro, wo Nínas Eltern auf sie warteten.
»Wie geht es ihr?«, fragte Konráð.
»Hast du nicht vielleicht etwas vergessen?«, entgegnete Elínborg, ohne auf seine Frage einzugehen.
»Was denn?«
»Deine Rolle in dem Ganzen.«
»Meine Rolle?«
»Wieso sollte ich euren Aussagen Glauben schenken? Sie sind irgendwie zu stimmig. Weshalb sollte ich glauben, was ihr beiden mir erzählt?«
»Was denn sonst? Meine Rolle? Was meinst du damit?«
»Du hättest Runólfur genauso gut die Kehle durchschneiden können.«
»Bist du verrückt?!«
»Wir können diese Möglichkeit nicht außer Acht lassen. Deine Tochter ruft dich an, du kommst so schnell wie möglich zum Schauplatz, schneidest Runólfur die Kehle durch und fliehst mit deiner Tochter.«
»Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, dass ich das getan habe?«
»Du streitest es also ab?«
»Selbstverständlich! Du bist ja verrückt!«
»Deine Tochter war nicht blutverschmiert, als du zu ihr kamst?«
»Nein, ich habe nichts dergleichen bemerkt.«
»So, wie der Mord verübt wurde, hätte sie das aber doch sein müssen?«
»Vielleicht, das weiß ich nicht.«
»Sie hatte kein Blut an sich«, erklärte Nínas Mutter. »Das weiß ich.«
»Und dein Mann?«, entgegnete Elínborg. »Hast du Blut an ihm bemerkt?«
»Nein.«
»Wir werden die Sachen finden, die er anhatte, falls ihr sie nicht verbrannt habt.«
»Verbrannt?«, warf Konráð ein.
»Nínas Lage ist wesentlich besser als deine«, sagte Elínborg zu ihm. »Sie könnte mit Notwehr davonkommen, aber bei dir wäre es Mord. Ihr habt sehr viel Zeit gehabt, um eure Aussagen aufeinander abzustimmen, euch darauf zu einigen, was ihr uns sagen wollt.«
Konráð starrte sie an, als würde er seinen Ohren nicht trauen.
»Wie kannst du so etwas behaupten!«
»Versteckspiele wie das, das ihr hier spielt, haben mich eines gelehrt«, sagte Elínborg. »Sie bauen fast immer auf einem Lügengespinst auf.«
»Glaubst du, dass ich meiner Tochter einen Mord unterschiebe?!«
»Ich habe schon Schlimmeres erlebt.«
Dreiundzwanzig
Elínborg hatte ihr Auto in der Nähe von Eðvarðs Haus geparkt, biss ab und zu in ein Sandwich und trank einen Schluck Kaffee dazu, der kalt geworden war. Sie hörte sich die Abendnachrichten an, in denen über die Festnahme von Tochter und Vater berichtet wurde. Es hieß, dass beide unter dem Verdacht stünden, an dem Mord beteiligt gewesen zu sein und sich in Untersuchungshaft befänden. Es gab einige Spekulationen darüber, was sich in Runólfurs Wohnung abgespielt haben könnte und warum Vater und Tochter ihn getötet hatten. Einiges davon traf zu, anderes nicht. In den Nachrichten wurde die Theorie aufgestellt, dass die in U-Haft befindliche Frau von Runólfur vergewaltigt worden war und dafür Rache genommen hatte. Seitens der Kriminalpolizei waren keine Verlautbarungen erfolgt, und deswegen gab es diverse unbeantwortete Fragen. Die Berichterstatter bemühten sich daher angestrengt darum, sie selbst zu beantworten. Elínborg hatte sich dem ganzen Presserummel entzogen und sich so schnell wie möglich aus dem Staub gemacht.
Das Sandwich war schlecht, der Kaffee kalt, und im Auto war es ungemütlich. Trotzdem hatte sie das Gefühl, das Richtige zu tun. In Kürze würde sie bei Eðvarð anklopfen, um ihn nach Lilja zu fragen, dem Mädchen, das sechs Jahre zuvor spurlos verschwunden war. Es war kalt im Auto, Elínborg hatte den Motor abgestellt. Einerseits wollte sie nicht auffallen, aber andererseits ging es ihr auch darum, die Luft nicht unnötig zu verpesten, wenn sie mit laufendem Motor irgendwo parkte. Sie hatte da so ihre Grundsätze.
Sie hatte zwar eine ausgesprochene Abneigung gegen Fast Food, aber der Hunger war stärker gewesen als ihre Vorbehalte, und so hatte sie auf dem Weg zu Eðvarð an einem Kiosk gehalten. Vergeblich hatte sie
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