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Frevelopfer

Frevelopfer

Titel: Frevelopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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Pyjamaoberteil.
    »Ich komme mit«, erklärte seine Frau.
    Er schüttelte den Kopf.
    »Sie will, dass ich allein komme, du musst hier warten. Ihr ist etwas passiert.«
    »Bist du noch dran, mein Schatz?«, fragte er in den Apparat.
    »Ich weiß nicht … wie die Straße heißt.«
    »Wie heißt der Mann, der dort wohnt? Kann ich ihn im Telefonbuch finden?«
    »Er heißt Runólfur.«
    »Weißt du, wessen Sohn er ist?«
    Seine Tochter antwortete nicht.
    »Nína?«
    »Ich glaube …«
    »Ja.«
    »Papa, bist du noch dran?«
    »Ja, Liebes.«
    »Ich glaube, er … er ist tot.«
    »Schon gut. Sei ganz ruhig. Es wird alles gut. Ich komme und hole dich, und dann wird alles gut. Du musst mir aber sagen, wo du bist. Welchen Weg habt ihr genommen?«
    »Hier ist überall Blut.«
    »Versuch, ganz ruhig zu sein.«
    »Ich erinnere mich an nichts. An gar nichts!«
    »Schon gut.«
    »Ich bin abends in die Stadt gegangen.«
    »Ja.«
    »Und da hab ich diesen Mann getroffen.«
    »Ja.«
    Er spürte, dass seine Tochter etwas ruhiger wurde.
    »Wir sind am alten Gymnasium vorbei und dann da entlang, wo die amerikanische Botschaft ist«, sagte sie. »Du musst allein kommen. Und niemand darf dich sehen.«
    »In Ordnung.«
    »Ich habe solche Angst, Papa. Ich weiß nicht, was passiert ist. Ich weiß nur, dass ich … dass ich auf ihn losgegangen bin.«
    »Und wohin seid ihr dann gegangen?«
    »Ich kann mich an nichts erinnern. Aber ich war nicht betrunken, ich habe fast nichts getrunken. Trotzdem kann ich mich an nichts erinnern. Ich weiß nicht, was mit mir los ist.«
    »Siehst du da vielleicht Rechnungen irgendwo auf einem Tisch, etwas, wo sein Name draufsteht oder eine Adresse, die zu dem Haus passt, in dem du dich befindest?«
    »Ich weiß … nicht, was hier vorgeht.«
    »Schau dich um, mein Liebes.«
    Er öffnete das Garagentor, setzte sich ins Auto, ließ den Motor an und fuhr rückwärts auf die Straße. Seine Frau hatte sich geweigert, zu Hause zu bleiben. Sie saß besorgt auf dem Beifahrersitz und lauschte dem Gespräch.
    »Hier ist eine Rechnung, und da steht Runólfur drauf. Und eine Adresse.«
    Sie las die Adresse vor.
    »Gut gemacht, mein Schatz. Ich bin schon unterwegs. Ich bin spätestens in fünf Minuten bei dir.«
    »Du musst alleine kommen.«
    »Deine Mutter ist bei mir.«
    »Nein, oh Gott, nein. Sie darf nicht hier hereinkommen. Mama und du, ihr dürft euch nicht blicken lassen, du darfst nicht gesehen werden. Ich will nicht, dass irgendjemand das sieht, ich will nur nach Hause! Bitte, bring Mama nicht mit.«
    Sie fing wieder an, hemmungslos zu weinen.
    »Ich kann das nicht«, stöhnte sie.
    »In Ordnung«, sagte er. »Ich komme allein. Ich parke den Wagen nicht in der Straße. Mama wartet im Auto.«
    »Beeil dich, Papa, beeil dich.«
    Von der Hringbraut bog er in die Njarðargata und dann nach links ab. Er parkte das Auto in angemessener Entfernung, bat seine Frau, im Auto zu bleiben, wie ihre Tochter gewünscht hatte, und machte sich auf den Weg zu dem Haus, in dem sie auf ihn wartete. Er beeilte sich, so gut er konnte, und redete die ganze Zeit am Telefon beruhigend auf sie ein. Niemand war unterwegs, und er glaubte, dass ihn niemand beobachtete. Beim Haus angekommen, ging er zunächst die Stufen zur oberen Etage hoch, sah dann aber an der Türklingel, dass dort kein Runólfur wohnte. Er machte kehrt und fand den Eingang hinten im Garten, der in die untere Wohnung führte. Der Name des Bewohners stand über der Briefklappe.
    »Ich bin da, mein Liebes«, sagte er am Telefon. Die Tür stand einen Spalt offen. Er schob sie auf und betrat die Wohnung. Auf dem Fußboden sah er einen Mann in seinem Blut liegen. Seine Tochter kauerte, in eine Bettdecke gehüllt, im Schlafzimmer auf dem Bett, das Kinn auf die Knie gestützt. Sie wiegte sich mit dem Handy am Ohr vor und zurück.
    Er schaltete sein Telefon ab, ging zu ihr hin und half ihr vorsichtig auf die Beine. Sie fiel ihm zitternd in die Arme.
    »Was hast du getan, Kind?«, stöhnte er.
    Konráð beendete seine Schilderung. Er wirkte, als sei er in einer anderen Welt, und starrte lange auf seine Beinschiene, doch dann blickte er hoch und sah Elínborg an.
    »Weshalb hast du nicht die Polizei gerufen?«, fragte sie.
    »Natürlich hätte ich gleich bei euch anrufen sollen«, sagte Konráð. »Stattdessen habe ich aber ihre Sachen zusammengerafft und zugesehen, dass wir hinauskamen. Ich bin nicht den gleichen Weg zurückgegangen, sondern durch den Garten auf die Straße

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