Fridolin zieht nach Berlin
versicherte Herr Tronich ebenfalls leise. „Es tut mir wirklich leid.“
„Ja, ja“, hörte Mike ihre Mutter bestürzt sagen. „Sie machen ja auch nur Ihren Job.“
„Da haben Sie recht“, meinte Herr Tronich, dem man deutlich anhörte, wie erleichtert er war, dass Mikes Mutter keinen Aufstand probte. „Andere Menschen sind nicht so verständnisvoll.“
„Das Leben ist nun einmal so, wie es ist. Manchmal versteht man es nicht. Aber was bringt es einem dann, wenn man den, der nur seine Arbeit tut, für sein persönliches Schicksal verantwortlich macht?“
Mike verdrehte die Augen. Wie gerne hätte sie manchmal einfach geschrien und jedem und allen die Schuld dafür gegeben, dass das Leben manchmal so ungerecht war, dass es zum Himmel stank!
Ihre Mutter aber suchte nie bei anderen die Schuld. Immer nur bei sich.
Immer nur bei sich.
Mike seufzte, als sie die letzte Stufe nahm und die Treppe hinaufblickte, wo sie Herrn Tronich erkennen konnte, der vor der Eingangstür zur Wohnung stand.
„Das ist lieb von Ihnen“, versicherte nun der untersetzte, bärtige Mann, dessen knallgelbes T-Shirt eindeutig zu eng war. „Sie sind immer so nett.“
„Das ist ja auch die schönste Eigenschaft eines Menschen.“
Herr Tronich lachte: „Sie sagen immer solche Sachen … Oh, hallo Mike“, lächelte er, als er Mike entdeckte, und hob die Hand, auf der ganz viele Haare wuchsen.
Mike mochte Herrn Tronich, obwohl er immer nur mit schlechten Nachrichten kam. Er sah unter seinem Vollbart immer so freundlich aus. Und besonders seine netten grünen Augen hatten es Mike angetan.
„Hallo“, grüßte Mike zurück.
„Kommst du vom Spielen?“
„Ja“, nickte Mike und drückte sich an dem Mann vorbei, der ihr sofort Platz machte.
„Und war es gut?“
„War klasse“, lächelte Mike und fasste ihre Mutter an der Hand, die wiederum ihrer Tochter ein begrüßendes Küsschen auf den Kopf drückte.
Und wie jedes Mal, wenn ihre Mutter hilflos war, schien sie sich fest an ihre Tochter zu klammern, um wieder neuen Mut schöpfen zu können.
„Das freut mich. Vielleicht triffst du dich mal mit Benjamin, meinem Sohn. Der sitzt den ganzen Tag nur vor dem PC. Spielt irgendein Fantasyspiel. Der weiß gar nicht, was ein Baum ist.“
„Mike liebt es, auf Bäume zu klettern, nicht wahr, mein Schatz?“
„Tue ich“, nickte Mike und ging dann an ihrer Mutter vorbei in die Wohnung hinein, wo sie ihre Schuhe einfach in den vollgestopften Flur stellte.
Überall hingen Neutralisationsscheiben herum, um die negativen Energien zu bekämpfen, außerdem irgendwelche Puppen und Beutelchen, die einen starken Duft nach allerlei getrockneten Kräutern verströmten.
„Und?“, rief Herr Tronich hinter Mike her. „Willst du dich einmal mit Benjamin treffen?“
„Das wäre doch nett“, sagte Mikes Mutter mit einem hoffnungsvollen Unterton in der Stimme, der Mike deutlich sagte, dass sie wieder einmal die unangenehmen Nachrichten, die sie bekommen hatte, zu verbergen hoffte.
„Wäre super“, schluckte Mike bitter. Sie glaubte zu hören, wie Herr Tronich und ihre Mutter erleichtert ausatmeten. Beide waren sichtlich darum bemüht, die unangenehme Situation endlich positiv enden zu lassen.
„Das sage ich ihm. Eure Nummer habe ich ja. Dann ruft Benjamin mal an.“
Mike war in ihr Zimmer gegangen, ohne Herrn Tronich zuzuhören.
Die Abmahnung hatte sie viel zu sehr getroffen …
Auf dem Dachboden gehen Geister um
Fridolin tat so etwas nicht gerne, aber heute musste es sein. Geschickt, wie er nun einmal war, öffnete er mit seinen Zähnen die Tür von Peterles Käfig und sah freudig dabei zu, wie der Wellensittich aus der Öffnung herausflog und zwei Loopings drehte.
Dann ließ sich Peterle geschmeidig auf der Gardinenstange im Flur nieder und stieß einen lauten, trällernden Schrei aus, der irgendwie nach „Freiheit!“ klang.
„Nun komm endlich“, meinte Fridolin ungeduldig und forderte Peterle auf, ihm nach oben zu folgen.
„Einen Moment“, seufzte Peterle und blickte aus dem Fenster hinüber zu Ilse auf die andere Straßenseite. „Sie ist so schön.“
„Das wird sie auch gleich noch sein, wenn wir erst einmal oben auf dem Dachboden waren“, erklärte Fridolin und war von sich selbst überrascht, dass er so mutig und forsch war. Eigentlich hatte er damit gerechnet, dass die Furcht, die er eben empfunden hatte, wieder zu ihm zurückkehren würde.
Aber Peterles Freude, dass er sich verliebt hatte und die
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