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Fridolin zieht nach Berlin

Fridolin zieht nach Berlin

Titel: Fridolin zieht nach Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Tippner
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nachdachte, taten ihr die Beschuldigungen schon wieder leid. Besonders deswegen, weil sie eigentlich gar nicht gewollt hatte, dass die Beleidigungen Nancy so sehr trafen.
    Mike wusste ja selbst, dass ihre Mutter manchmal etwas „abgefahren“ war. Ja, sie war spirituell angehaucht, brannte gerne Weihrauch und Duftstäbchen ab. Sie richtete ihre Seele auch nach den neuesten Lehren von Sanathana Sai Sanjeevini ein, einer indischen Heilweise, die die körpereigenen Energien zur Regeneration nutzte.
    Natürlich war das alles manchmal sehr skurril, wie Mike selber fand. Aber die Tatsache, dass sie mit Alternativen zur herkömmlichen Lebensweise aufwuchs, fand sie sehr beeindruckend. Auch wenn sie nicht einmal genau wusste, was Alternativen waren.
    Das einzige, was sie immer sehr seltsam fand, waren die Globuli, die sie nehmen musste. Das waren keine wirklichen Tabletten, sondern kleine Kügelchen, die sie sich unter die Zunge legte.
    Ob sie dadurch wirklich gesünder lebte, konnte sie nicht sagen. Ihr war nur aufgefallen, dass sie, wenn sie bei ihrer Oma war und da „normale“ Medikamente bekam, schneller wieder gesund wurde.
    „Wen haben wir denn da?“, riss sie die Stimme der alten Frau Hammerschmidt aus ihren Gedanken. Sie war eine alte, gebeugte Frau, deren Äußeres von einer gewissen Faszination, aber auch von etwas Abschreckendem begleitet wurde.
    Mike war bis heute nicht dahinter gekommen, was es war, das sie an Frau Hammerschmidt so abschreckend fand. Klar, ihr Gesicht war eingefallen, ihre Lippen dick, die Haare immer wirr. Und auch sagte sie nicht immer Sachen, die einen Sinn ergaben.
    Manchmal legte Frau Hammerschmidt sich auch auf die Innenhofwiese und machte einen Schnee-Engel, obwohl gar kein Schnee lag.
    „Oh, hallo“, sagte Mike, die steif stehengeblieben war und unsicher auf ihre Fußspitzen starrte.
     „Ist das Gänseblümchen schon aus dem Park zurück?“
    „Gänseblümchen?“, echote Mike.
    „Ein kleines, süßes Ding mit gelbem Kopf und weißen Blütenblättern drum herum“, erklärte die Alte lächelnd.
    „Aha.“
    „Willst du denn kein Gänseblümchen sein?“
    „Äh …“
    „So ein klitzekleines, tatzewatze, niedliches Gänseblümchen, das man pflücken und an dem man riechen kann?“
    „Äh …“
    „Du bist so süß“, sagte Frau Hammerschmidt, tätschelte Mike den Kopf und ging dann weiter, den Kopf in den Nacken gelegt, um den Himmel zu beobachten.
    „So viele schöne, versteckte Sterne“, lachte die Alte und war dann weg.
    Naja, was heißt weg, auf jeden Fall nicht mehr in der unmittelbaren Nähe, um Mike noch mehr zu verwirren.
    Diese war weiter auf die Eingangstür ihres Wohnhauses zugegangen und hatte dabei den Schlüssel schon aus der Tasche gezogen.
    Aber erst als sie die schwere Haustür aufgeschlossen und das immer feucht und muffig riechende Treppenhaus betreten hatte, bemerkte sie, was Frau Hammerschmidt in ihr freigesetzt hatte.
    Ein Gefühl des Glücks und der Freude.
    Wann wurde man schon einmal „Gänseblümchen“ genannt? Dazu ein so süßes, dass man ein „klitzekleines, tatzewatze“ war?
    Mike musste schmunzeln und fand, dass die ziemlich verrückte Hammerschmidt doch etwas ganz Liebenswertes an sich hatte. Etwas so Liebenswürdiges, dass Mike noch einmal über die Schulter hinweg zu der alten Frau zurückblickte, die die Arme ausgebreitet hatte und die Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht genoss.
    „Ist die verrückt“, schmunzelte Mike und bekam dann gleich Bauchweh, als sie die Stimme ihrer Mutter hörte:
    „Sie müssen mir glauben.“
    „Das tue ich ja“, kam es zur Antwort, und Mike schloss die Augen, als sie die Stimme von Herrn Tronich, dem Hausverwalter, erkannte. „Aber das ist jetzt schon zum dritten Mal.“
    „Ich habe zurzeit keine Arbeit“, erklärte die Mutter, während Mike die Hand aufs Geländer legte und langsam die erste Stufe nahm.
    Sie hasste solche Momente wie diesen. Die Momente, die ihr sagten, dass in der erdachten, heilen Welt ihrer Mutter nicht immer alles so sattelfest war, wie sie es sich selbst gerne vormachte.
    „Das tut mir auch leid. Aber die Miete ist zum dritten Mal in Folge zwei Wochen zu spät überwiesen worden.“
    „Die Alimente für meine Tochter kommen immer so spät“, flüsterte Mikes Mutter leise und fragte dann: „Wollen Sie nicht hereinkommen? Da können wir über alles in Ruhe sprechen.“
    „Nein, schon gut. Ich muss Ihnen ja nur das hier geben.“
    „Eine Mahnung?“
    „Leider“,

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