Friedemann Bach
Orgelstudien zu vollenden und die Rechtswissenschaft, sowie die Mathematik und Philosophie, die er in Merseburg begonnen, fortzusetzen. Beiden Disziplinen ist er neben der Musik späteren Verhältnissen unwandelbar treu geblieben.
Zwischen dem Vater und Friedemann, der nun in den meisten Dingen auf seinen eigenen Füßen stand, hatte sich längst ein mehr freundschaftliches, gleichberechtigtes Verhältnis herausgebildet, das aber trotzdem den letzten Schimmer der alten Jugendzärtlichkeit in sich trug. In ihrem Kunststreben glichen sie zwei Konkurrenten, von denen der ältere nur eine Strecke voraus hat.
So betrachtete es wenigstens Sebastian, und da er die Genialität seines Friedemann als Musiker ebenso wie seine Reife in wissenschaftlichen Dingen bald erkannte, so hatte er ihm frühzeitig Rechte eingeräumt, die man sonst nur dem Freunde, der einem an Jahren nähersteht, zu bewilligen pflegt. Aber so sehr Sebastian Bach auch Friedemann immer mehr zu sich heranzog und zum Vertrauten machte, so war doch der ganze Charakter, das künstlerische und menschliche Sein Friedemanns so eigentümlicher Art, daß dem Sohn, trotz abweichender Ansicht, trotz väterlicher Vertraulichkeit, die Repulsivkraft stets bewahrt blieb, die ihn immer in der alten Kindlichkeit zum Vater hielt. Sebastian Bach war streng religiös; seine Kunst selbst war auf den Glauben gepflanzt und nur durch diesen werktätig. Er war ein Mann ohne dialektische Spitzfindigkeit und Grübelei, ohne philosophischen Sinn, und wenn seine künstlerischen Gedanken so innig und tief, so erhaben und kraftvoll sind, so sind sie es nur, weil sie dem Glauben in seiner schlichtesten Einfachheit entsprießen, jenem unergründlichen Bronnen des Schönsten und Besten, jenem großen, nie gemessenen Ozean, in den sich alle Sehnsüchte und Hoffnungen, so entgegengesetzt sie äußerlich zu sein scheinen, endlich doch ergießen. Friedemann hingegen hatte in Merseburg analysieren, logisch schließen und denken gelernt. Durch Wolffs Mund waren ihm die Philosophie Leibniz’, die Hypothesen Newtons und der junge Geist der französischen Skepsis zugekommen, und hier war der Punkt, wo zwischen Vater und Sohn ein scharfes Auseinandergehen nahe genug lag. Daß aber Friedemann nach wie vor den Vater mit jenen anbetenden Kinderaugen betrachtete und in ihm die Krone alles Guten und Schönen fand, lag daran, daß die wissenschaftlichen Eindrücke Merseburgs noch nicht tief in ihm gewurzelt hatten, und alle jene gewaltigen Fragen, die sie etwa in ihm wachgerufen haben mochten, gewissermaßen beiseite gelegt worden waren durch den ersten aller seiner Gedanken: »Du bist ja Musiker, Friedemann!«
Der andere Grund lag darin, daß die von ihm gesammelten Erkenntnisse sich vom Gottesbewußtsein nicht losgelöst hatten; man kam immer auf Gott als Urgrund zurück. Zudem lag in Leibniz’ Monadologie so viel Naturdeismus, daß Friedemann doch stets wieder in der Hauptanschauung mit dem Vater zusammentraf, und dieses Zusammentreffen wurde durch Jakob Böhmes Schriften, die beide gleich hoch verehrten, sogar erleichtert, weil in dieser mystisch-schwärmerischen Anschauung sich dem Vater und dem Sohne eine endlose Welt der kühnsten Imaginationen eröffnete, in der die Meinungen beider Raum genug hatten, ohne sich aneinander zu stoßen. Das Letzte, Größte aber, das Vater und Sohn zusammenhielt, war die Musik selbst und die Überzeugung Friedemanns, daß sein Vater unerreichbar hoch in seinem Wirken stehe. Oft kam es vor, daß da, wo der spitzfindige Verstand des Sohnes vor einer Frage ratlos stillstand, ein paar Worte des Vaters, das Beispiel einer einzigen Tonfigur auf dem Instrument genügten, um beide zu vereinigen.
Wenn Vater Bach auch nicht viel auf Brühl, überhaupt auf die Hilfe anderer gab und mit seinem Lose in Leipzig ganz zufrieden war, so hatte doch Friedemann die Abschiedsworte des Pagen bei jenem Wettstreit nicht vergessen; voll edlen Ehrgeizes wünschte er wohl, den Vater, der ihm alles galt, in einer möglichst beneideten Stellung bei Hofe zu wissen.
Brühl war nun dreiunddreißig Jahre alt und, da er sich Vitzthums kluge Zurückhaltung zur Regel machte, noch immer der Günstling Augusts des Starken, ohne daß man ihn sonderlich beneidet hätte. Er war ein Günstling ohne Einfluß. In dieser Beziehung war ihm, besonders bei dem Kurprinzen, sein ehemaliger Genosse, der junge Sulkowsky, zuvorgekommen, der auf kluge Weise sich öfter in die galanten Angelegenheiten des Königs zu
Weitere Kostenlose Bücher