Friedemann Bach
Lied, das Lied seiner Sehnsucht, seiner Schmerzen. Und wie ein flackernder Stern der Nacht, feucht schimmernd, umflort, senkten sich Astruas Blicke in die seinen. Sie trat zu ihm, nahm seine Hand und drückte sie, die Zusammenhänge ahnend, an ihr Herz: »O, lassen Sie mich das Lied abschreiben, als Angedenken an Sie, und -- daß wir von heute an Freunde sind, ja?!«
»Wenn Sie es wünschen, Signorina, wer könnte es Ihnen weigern!« stammelte er. Erst jetzt ging ihm die seltene Schönheit, der fesselnde Liebreiz der großen Künstlerin auf, und es zog wie ein fernes Wehen von Glück und Freude über sein leeres Herz.
Emanuel warf einen finsteren Blick auf das Paar und eilte hinaus, um nach den königlichen Wagen Ausschau zu halten.
Als Sebastian mit seinen Söhnen und den anderen Musikern die Kirche betrat, war der Hof bereits versammelt; kurze Zeit darauf erschien der König, mit einem leichten Neigen des Kopfes nach allen Seiten grüßend.
»Lieber Bach, kann Er nun beginnen?«
»Jawohl, Majestät! Es fragt sich nur, was in Dero Allerhöchstem Belieben steht. Ich bitte um eine Aufgabe, aber -- eine bessere als gestern.«
»Das wird schwer sein! Sag Er mir, kann Er wohl so
ex tempore
eine Fuge mit sechs obligaten Stimmen machen?«
»Wollen mir Eure Majestät verstatten, daß ich mir selber ein Thema wählen darf, so will ich's versuchen; denn nicht jedes ist zu solcher Vollstimmigkeit geschickt.«
»Tu Er das! Ich hab' mir da eine einsame Ecke ausgesucht, wo ich Ihn
sans gene
hören kann. Wenn ich was von ihm will, werde ich Ihm meinen Adjutanten schicken.«
Der König ging, und Bach begann jenes Wunderwerk der Polyphonie, bei dem den Hörern war, als lägen sie in einem holden, unvergänglich süßen Traume; als hörten sie die Stimmen der Seligen und Engel, die die Himmelsleiter auf- und abwärts steigen, sich neigen und grüßen, sich umarmen und hinaufziehen in das grenzenlose All, um in einem Brudertum, in einem Liebesreigen, in einer großen, alles durchdringenden Harmonie anbetend vor dem Unendlichen niederzusinken ...
Was in des Königs Seele vorging, verschleierte der dunkle Chor. Als er nach einer langen Pause den Sitz verließ, sagte er zu dem Adjutanten: »Die Stunde ist mir heilig, hört Er, und ich will nicht, daß ein andrer Mensch weiß oder gesehen hat, wie mir zumute war.«
»Majestät kehrten mir den Rücken zu!«
»Schön! -- Geh Er hinüber und sage dem Friedemann, daß er nun auch versuchen soll.«
Der König setzte sich wieder, und gewaltigen Schwunges rauschte eine jener Rhapsodien, in denen der junge Bach groß war, durch den weiten Bau; und wenn des Vaters Spiel die Hörer in eine süße Verzückung, in die selige Stimmung eines holden Maimorgens gesenkt hatte, so versetzte sie der Sohn in einen Wechsel von Erstaunen, Lächeln, Schauder und Enthusiasmus. Sein Spiel, die Art seiner Themen, die Behandlung des Instrumentes waren effektvoll, geistreich, zuweilen fast paradox; er gab sich glänzender als jemals, denn das Ohr Friedrichs lauschte seinen Tönen, das strahlende Auge Astruas ruhte auf ihm. Als er geendet hatte, brach das Auditorium in jenes verhaltene Beifallssummen aus, das unter allen Arten des Triumphes dem Künstler am meisten schmeichelt.
Der König schickte sich zum Aufbruch an. Er murmelte:
»Cet homme est un génie, mais de l'enfer!«
und beauftragte seinen Begleitoffizier: »Sage Er dem alten Bach, daß ich ihn gleich sprechen will!«
Eine Stunde später betrat Sebastian das Kabinett des Königs, der ihm mit ausgebreiteten Armen entgegenging und ihn küßte: »Bach, wenn Er immer bei mir wäre, ich glaube, ich könnte richtig fromm werden!«
»Majestät!«
»Nun, kurz und gut, ich hab' Ihm nichts zu sagen, sonst wüßte ich nicht, wo ich anfangen soll; aber ich will Ihn bitten, daß Er in Preußen bleibt und in meine Bedienstung tritt. Fordre Er, was Er mag, mir ist alles recht, -- nur bleib Er! Und Sein Sohn, das ist ein Teufelskerl, aber er weiß noch nicht, was er will; brillant, doch ohne eigentlichen Stil. Na, den werden wir auch placieren. Entscheide Er sich!«
»Wenn es möglich wäre, Majestät, einen Blick in mein Herz zu tun, würden Sie mir alles verzeihen, was ich jetzt antworten will.«
»Ah, Er schlägt mir's ab, Er will nicht!«
»O nein, der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach! Ich bin alt, Majestät, und die kurze Spanne Zeit, die mir der liebe Gott noch lassen will, möchte ich in Leipzig hinbringen, wo ich mich nun einmal
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