Friedemann Bach
schließlich nur noch schattenhafte Eindrücke zurück. Grübelnd mußte Antonie sich gestehen, daß ihre Schuld am Elend des Geliebten nur leicht wog. Des Geliebten? Liebte sie denn Friedemann noch? War nicht überhaupt das, was sie für Liebe gehalten hatte, nur sehnsüchtiger Überschwang einer liebeleeren Jugend? Und zudem -- eine große Torheit? Denn so viel war ihr doch klar geworden, daß sie bei ihrer gesellschaftlichen Stellung, als Sprößling eines Königs, als Pflegetochter eines Ministers nie und nimmer das Weib des Musikers Friedemann Bach hätte werden können. Nur ... ja, wenn nur eben nicht der unheimliche Klotz der Festung Königstein über alle Gedanken, Erkenntnisse und Empfindungen seinen düsteren Schatten lagerte!
Langsam begann Antonie, sich dem alten Ehepaar von Eichstädt zu nähern; sie nahm an Geschäften des Hauses teil, entfaltete ihren natürlichen Liebreiz, und man vergalt ihr mit Teilnahme, Liebe und Milde, so daß mit der Zeit die Fesseln lockerer wurden. Gleichwohl hörten sie nie ganz auf. Antonie hatte mit der Außenwelt nur geringe Beziehungen, und die ihr zugewiesene Dienerschaft vermied jede nahe Berührung. »Wer sich um das Fräulein, meine Nichte, mehr bekümmert, als sein Dienst nötig macht, den schicke ich gleich fort!« hatte der Herr von Trotha gesagt; das schreckte ab, denn der Dienst dort war der beste weit und breit.
Trotz wachsendem Anschluß an die Familie wahrte Antonie ihr Geheimnis, ging sie nie über die selbstgesteckte Grenze innerer Zurückhaltung hinaus. Nur bei dem Müller des Dorfes, einem lustigen alten Burschen, dem sie wegen seines biederen Wesens und seiner gleichbleibend guten Laune zutraulich verbunden war, machte sie eine Ausnahme; ihm gegenüber verhehlte sie ihre Stimmung nicht und lieh ihren Klagen oft verstohlene Worte.
Zwischen diesem Müller und Abraham von Eichstädt bestand ein inniges Freundschaftsverhältnis. Sie waren Milchbrüder und wie Zwillinge zusammen aufgewachsen. Als Eichstädt seinen Dienst als Page antrat, wurde der Müller sein Bursche und blieb es auch in Meißen; er war der Vertraute seines Herrn gewesen, als dieser lange und anfangs hoffnungslos um seine Ehefrau werben mußte, und seit er ihn bei einem Hochwasser mit eigener Lebensgefahr vor dem Tode des Ertrinkens gerettet hatte, war aus dem Freundschafts- ein Bruderbund auf Du und Du geworden. Als Eichstädt Trotha kaufte, schenkte er dem Milchbruder die Mühle, und die Dörfler wählten ihn zu ihrem Schultheißen; denn was kein anderer Mann durchsetzte, kostete den lustigen Müller nur einen Gang zum »Herrn Bruder« und es geschah. Trotz allem besaß er aber feinen Takt genug, in dem seltsamen Verhältnis immer die rechte Mitte zwischen Freund und Gebieter einzuhalten.
Was es mit der »Mamsell Antonie« für eine Bewandtnis hatte, wußte der Meister Müller; er war der einzige, dem es nicht verschwiegen worden war. Da aber Antonie nicht ahnte, daß ein Mann in solch untergeordneter Stellung mit ihren Verhältnissen vertraut sein könnte, war sie gegen ihn unbefangener als gegen ihren Gastgeber. Seinem begütigenden Einfluß verdankte sie manche Erleichterung, und als gar das erste Jahr vorübergegangen war, ohne daß der gemutmaßte Fehltritt Folgen gezeigt hätte, schrieb der Gutsherr an Brühl: »Ich glaube, Du hast dem armen Kinde großes Unrecht getan; denn was mich Dein erster Brief argwöhnen ließ, ist nicht eingetroffen. Sie ist zwar noch immer kalt und wenig zugänglich, aber ein sittiges, gutes Mädchen, das man hegen und pflegen muß. damit ihr Gemüt nicht ganz abwelkt.«
Demgemäß war auch Eichstädt von nun an viel herzlicher zur Antonie, und nach und nach lebten sich die Menschen immer mehr ineinander ein. Eines Tages sprach er sich mit ihr aus: »Sie ersehen, mein liebes Kind, aus allem, daß ich dem Willen Ihres Stiefvaters genau nachkommen mußte; denn ich verdanke ihm das Glück und den Wohlstand meiner Familie. Daß ich Ihnen das nun offen sage, als alter Mann sage, mag Ihnen Beweis sein, wie lieb ich Sie habe. Ich sehe jetzt ein, daß Ihre Eltern Sie viel zu streng beurteilen, daß der Fehler, den Sie begingen und den ich nicht zu wissen brauche, nicht von der Art war, daß Sie so hart bestraft werden mußten. Gleichwohl bin ich's meinem Freunde Brühl schuldig, noch immer nach seinem Willen zu handeln, auch in Zukunft. Eins sollen Sie aber wissen: daß ich es mit schwerem Herzen tue!«
Antonie richtete einen dankbaren Blick auf den alten
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