Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Friedemann Bach

Friedemann Bach

Titel: Friedemann Bach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Emil Brachvogel
Vom Netzwerk:
Wegweisers verhauchte. Unwillkürlich sah er suchend nach oben, und dort las er: »Nach Leipzig«.
    Er stutzte. Etwas wie ein schwerer, dunkler Vorhang wurde vor seinem Geiste weggezogen. Ein heißes Heimverlangen kehrte in seine Seele ein, er weinte. Er klemmte die Violine, die er mit sich trug, fest unter den Arm und stürzte davon, in der Richtung, die der Wegweiser ihm gezeigt hatte.
    In abgeschabter Kleidung, die Schuhe zerrissen, bestaubt, gebückt und schwankend vor Schwäche schlich sich einige Tage später der Wandermusikant durch das Gerbertor in die Stadt. Ängstlich hielt er sich im Schatten der Häuser, obwohl es noch früh am Morgen und die Straßen menschenleer waren; er schritt um den Wall und an der Geisterpforte vorüber und strebte der Thomaskirche zu.
    Am Kantorhause machte er halt. Er sah an seinem Anzug herunter und zögerte eine Weile. Er hob die Hand, ließ sie wieder sinken, und klopfte dann, in sich selbst überrumpelndem Entschluß, hart und laut an der Türe. --
    Niemand öffnete, alles blieb still.
    Er klopfte stärker, und wieder regte sich nichts.
    Da bearbeitete er, von einem ungewissen Grausen vor dieser unbarmherzigen Todesruhe des Hauses geschüttelt, das Holz mit den Fäusten und dröhnenden Fußtritten. Von der Kirche her kam mit eiligen Schritten der halbangekleidete, noch schlaftrunkene Küster.
    »Ja, was vollführt Er denn bloß für einen Lärm?! Sieht Er nicht, daß das Haus leer steht?«
    »Leer?«
    »Heiliger Himmel!« -- und der Küster rieb sich verwundert die Augen -- »Sie, Friedemann? -- Weiß Gott, er ist's wirklich! ... Ja, ja, Herr Friedemann, es ist ein rechtes Unglück, nicht wahr?«
    »Was, -- was ist ein Unglück?«
    »Ja, haben Sie denn den Brief vom Herrn Altnikol nicht bekommen?«
    »Brief? ... Altnikol?«
    »Mein Gott, da wissen Sie gar nichts? ... Ja, zuerst wollte es der Herr Vater ja auch nicht haben, damit Sie sich nicht sorgen sollten.« Und der Küster erzählte in Hast, daß die letzten Jahre viel Ungemach und Leid über die Familie Bach gebracht hatten. Das Augenlicht des Vaters war, wohl infolge der Überanstrengung beim Stechen der Kupferplatten zur »Kunst der Fuge«, immer schwächer geworden, und schließlich war er ganz erblindet. Seine Amtsverrichtungen hatte er nach und nach einstellen müssen, erhielt aber einen Teil seiner Bezüge weiter ausbezahlt. Es kostete aber auch viel; denn die Ärzte hatten zu einer Operation geraten, und auch ein berühmter Professor aus England war der gleichen Meinung. Aber der Eingriff war zweimal erfolglos geblieben. Dann war der blöde David gestorben; Sebastian hatte nur gesagt: »Der arme Junge mache mir Quartier bei unserem Herrgott.«
    »Weiter, weiter!« drängte Friedemann.
    »Ja, Ihre Mutter weinte viel in dieser Zeit, besonders wenn Briefe aus Halle gekommen waren. Aber der Herr Vater konnte das ja nicht sehen, und ihm gegenüber war sie immer guter Dinge. Ich glaube, Friedemann, sie sagte ihm nur, was er gerne hören mochte. Und so wird's wohl so sein, daß der Vater nichts Rechtes von Ihnen -- und Sie nichts von ihm wußten.«
    »Ja, so wird das sein! -- Und?«
    »Und, es ist gerade ein Jahr her, es war am 28. Juli 1750, da ... da starb er. -- Einen Augenblick, Herr Friedemann, ich komme gleich zurück, ich habe noch ein Päckchen für Sie.«
    Friedemann stand stumpf und regungslos und starrte das verödete Haus an. Er merkte nicht, daß der Küster forteilte, zurückkam und ihm einen dicken Briefumschlag in die Hand drückte, er hörte nur wie im Traum die weitere Mitteilung, daß die Mutter zum Herrn Altnikol nach Naumburg gezogen sei.
    Plötzlich kehrte der frühe Besucher sich um, ließ den Küster ohne ein Wort des Dankes oder Abschieds stehen, klemmte seine Violine fester unter den Arm und stolperte davon. Er schlug den Weg zum Friedhof ein ....
    Zwei Wochen später schritt der fahrende Musikant, dem ein langes Wanderleben nun schon den Stempel des Vagabundenhaften aufgeprägt hatte, auf der Straße, die von Ichtershausen her dem Thüringer Wald zustrebte, gemächlich nach Arnstadt. Bei den ersten Häusern angekommen, fragte er, wo der Organist Vogler wohne, und als er dessen Haus gefunden hatte, trat er ohne Umstände ein.
    »Kennt Ihr mich noch, Vogler?«
    »Herr, erhalte mir meine fünf Sinne! Seid Ihr's oder seid Ihr's nicht? ... Friedemann Bach!«
    »Richtig! Und komme von Leipzig. Mein Vater ist tot. In Halle haben sie mich fortgejagt, und meinem Schwager mag ich nicht zur Last fallen,

Weitere Kostenlose Bücher