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Friedemann Bach

Friedemann Bach

Titel: Friedemann Bach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Emil Brachvogel
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seiner einsamen Stunden gestaltet war, das freilich blieb sein Geheimnis. Wie er nicht fragte, so teilte er sich auch nicht mit. Er war nur immer sehr ernst gestimmt, wenn er wieder zum Vorschein kam. Am meisten verändert, fast schon verstört war Cardins Wesen jedoch am Tage des 25. August. Schon eine Woche vorher wurde er einsilbig, hielt sich ständig in seiner Klausur auf oder machte einsame Spaziergänge. War der Tag gekommen, ließ er sich überhaupt nicht blicken und erschien erst wieder am anderen Morgen, bleich und übermattet, mit verfallenen Zügen. Es dauerte dann eine ganze Zeitlang, bis er sich wieder im alten Geleise zurechtfand.
    Friedemann hatte diese Beobachtung in den vier Jahren, die er mit dem Doktor zusammen lebte, jedesmal gemacht, und er sah mit einer gewissen Besorgnis und Unruhe der diesjährigen Wiederkehr des ominösen Tages entgegen. Aber die ihm vorangehende Woche verlief in der schon gewohnten Weise, und nur am Morgen des Vortages trat insofern eine Abweichung ein, als Cardin sein Zimmer veließ und Friedemann zur Teilnahme an seinem Spaziergang einlud.
    »Ich habe dich nie gefragt, Freund«, begann er unterwegs, »was du in deinem Zimmer treibst, dazu habe ich kein Recht und keine Lust. Ich wünsche dir nur, daß es deiner jetzigen Erkenntnis und Glückseligkeit nicht schade. Du hast gleichfalls mein Recht geehrt, ich danke dir! Nach den Gesetzen der Natur aber wirst du mich überleben und so hinter das Geheimnis meines Sonderlebens kommen, ohne meinen Wunsch und mein Zutun. Was du dann sehen wirst, wird dir, wenn du es nach unserer Denkweise betrachtest, die Wahrheit unserer Philosophie und zugleich die Ursache angeben, die mich zur Erkenntnis der Wahrheit geführt hat. Damit genug für jetzt! -- Sage mal, Friedeman, glaubst du an einen Gott? -- Nun, du schämst dich? Du glaubst also an ihn! Bist du so feige, das, was du denkst, zu verhehlen?«
    »Nein! Ich glaube an ihn!«
    »Siehst du! Nun, ich glaube nicht an ihn! -- Warum? »Weil ich ihn nicht weiß! Ich kann nur glauben, was ich weiß.«
    »Ebensowenig können Sie aber auch sagen, daß er nicht ist; denn das wissen Sie ebensowenig.«
    »Doch, das weiß ich! Ich kann sagen, daß er nicht ist. Seine Gegenwart kann ich nicht beweisen, aber seine Abwesenheit, folglich kann ich nicht glauben.«
    In kalter Logik setzte er seine Gründe auseinander, zog er seine Schlüsse. Sie diskutierten lange, Friedemann mit wachsender Leidenschaftlichkeit, und fast schien es, als ob auch der Atheist innerlich bewegt wäre. Doch dann schloß er seine Meditationen: »Daß Gott in der Welt, im All nicht ist, haben wir gesehen. Außer dem All aber ist nichts, denn das All ist zugleich alles. Folglich, da nichts außer dem All ist, kann auch Gott nicht außer dem All sein. Mithin ist Gott, da er weder in noch außer dem All ist, gar nicht!«
    Mit Verzweiflung raffte Friedemann sich auf: »Gut, er soll nicht sein! Und wie soll das Glück der Menschen sich gestalten? Wenn auch der einzelne, der Weise, in sich und der Natur Befriedigung finden kann, sind einer denn alle? Sieh die Not, die Armut, den Geiz, alle Laster und Schmerzen der Menschen: sollen sie denn ewig währen? Im Himmel kein Gott, das Jenseits ein Traum, auf Erden nur Jammer! Ich kann das nicht fassen und verstehen!«
    Fast gleichzeitig unterbrachen sie ihren Spaziergang, wandten sich um und schritten wortlos dem Hause zu.
    Am Abend saß Friedemann noch lange am offenen Fenster, starrte in die Landschaft und dachte an das, was er vernommen hatte. Er versuchte, die tausenderlei Eindrücke zu ordnen, aber es wollte ihm nicht gelingen. Schließlich begab er sich zur Ruhe, doch der ersehnte Schlaf stellte sich nicht ein.
    Plötzlich hörte er ein verhaltenes Wimmern und Schluchzen, dann leise Tritte. Die Geräusche kamen aus dem über ihm gelegenen Raum, seinem »Extrazimmer«. Schon wollte er aus dem Bett springen und nach seinem Degen greifen, um nach oben zu eilen, als er einen Lichtschein gewahrte, der von der Treppe her durch eine Ritze der Tür schimmerte.
    Die Schritte schlichen näher. Friedemann stellte sich schlafend, hielt aber alle Muskeln zu sofortigem Handeln gespannt.
    Die Türe klinkte geräuschlos auf, und auf der Schwelle stand Doktor Cardin, mit der Hand die flackernde Kerze abschirmend. Er war in ein langes schwarzes Gewand gekleidet, sein Gesicht wirkte gespenstisch bleich, mühsam unterdrückte er ein tränenloses Weinen. Lange und innig sah er auf den Schlummernden; er

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