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Frieden auf Erden

Frieden auf Erden

Titel: Frieden auf Erden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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die natürliche Evolution kein Ende. Sie kann keines haben, weil es kein ›Endgültig‹, also keinen absolut überlebensfähigen Organismus gibt. Jede Art hat ihre schwache Seite. Zweitens ist auf dem Mond keine natürliche, sondern eine künstliche Evolution – noch dazu von Waffen! – im Gange. Jeder Sektor wird zu verfolgen suchen, was nebenan vor sich geht, und auf seine Weise darauf reagieren. Das militärische Gleichgewicht ist etwas anderes als das biologische. Die lebenden Arten dürfen ihre Konkurrenten nicht mit totaler Perfektion bekämpfen: Der absolut giftige Krankheitserreger würde alle Wirte töten und müßte folglich mit ihnen umkommen. Deshalb liegt das Gleichgewicht in der Natur unterhalb der Vernichtung. Andernfalls wäre die Evolution selbstmörderisch. Die Waffenentwicklung hingegen strebt die totale Überlegenheit über einen Gegner an. Waffen haben keinen Selbsterhaltungstrieb.«
    »Moment mal, Direktor«, sagte ich, von einem neuen Gedanken überrascht. »Jeder Staat konnte sich doch in aller Stille auf der Erde einen ebensolchen Komplex bauen, wie er ihn auf den Mond geschickt hat. An seinem Verhalten wäre dann abzulesen, was der Zwilling dort oben macht.«
    »Eben nicht!« rief der Direktor mit einem widerborstigen Lächeln. »Gerade das ist einfach unmöglich! Der Verlauf der Evolution ist nicht voraussehbar. Wir haben uns in der Praxis davon überzeugt.«
    »Wie denn?«
    »So, wie Sie sagten. Wir haben identische Computer in unserem Forschungszentrum mit den identischen Programmen gefüttert und machen lassen. Eine Evolution wie aus dem Bilderbuch, aber total divergierend. Das ist so, als wollten Sie den Verlauf eines Schachturniers, das von hundert Großmeistercomputern in Moskau ausgetragen wird, dadurch voraussagen, daß Sie die Partien mit hundert identischen Geräten in New York simulieren. Was werden Sie über die Moskauer Computer erfahren? Absolut nichts! Kein Spieler, ob Mensch oder Computer, macht immer die gleichen Züge. Die Politiker wollten solche Simulatoren natürlich geliefert haben, aber es hat ihnen nichts genützt.«
    »Schön. Nun hat aber bisher keiner was herausgekriegt, und alle eure Kundschafter sind verschwunden wie Steine im Wasser. Wie kann ich hoffen, daß es mir gelingt?«
    »Sie bekommen Hilfsmittel, wie sie bisher noch keiner besaß. Einzelheiten erfahren Sie von meinen Mitarbeitern. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg …«
    Drei lange Monate rackerte ich mich auf den Übungsständen der Lunar Agency kaputt, und ich kann ohne Übertreibung sagen, daß ich die Telematik zuletzt im kleinen Finger hatte. Es handelt sich dabei um die Kunst, einen Sendling zu bewegen. Man muß sich auskleiden bis aufs Gekröse und dann eine elastische Haut überstreifen. Sie erinnert an einen Taucheranzug, ist aber viel dünner und glänzt wie Quecksilber. Das kommt von den Leitungen, mit denen sie durchwoben ist, Elektroden, die dünner sind als Spinnweben. Eng am Körper anliegend, registrieren sie durch die Haut die Veränderungen der Muskelströme und geben sie an den Sendling weiter, der dadurch jede Bewegung mit idealer Präzision nachvollzieht. Das ist seltsam genug, aber es kommt noch besser: Man sieht nicht nur mit den Augen des Sendlings, sondern man fühlt auch, was man an seiner Stelle fühlen würde. Wenn er einen Stein aufnimmt, fühlst du dessen Form und Gewicht, als hättest du ihn selbst in der Hand. Man spürt jeden Schritt und jedes Straucheln, und stößt sich der Sendling an einem harten Gegenstand, so fühlt man auch den Schmerz. Ich hielt das für einen Mangel, aber Doktor Miguel Lopez versicherte, das müsse so sein. Andernfalls wäre der Sendling dauernd Beschädigungen ausgesetzt. Wird der Schmerz zu stark, kann der entsprechende Übertragungskanal zwar abgeschaltet werden, es empfiehlt sich jedoch, lediglich den Schmerzdämpfer zu benutzen, um sich über das Befinden des Sendlings auf dem laufenden zu halten. Der in die Kunsthaut gesteckte Mensch verliert das Gefühl für sich selbst und versetzt sich völlig in die Außenperson.
    Ich trainierte an verschiedenen Modellen. Der Sendling muß durchaus keine Menschengestalt haben, er kann auch kleiner als ein Zwerg oder größer als Goliath sein, wobei das jeweils unterschiedliche Komplikationen mit sich bringt. Hat man statt der Füße plötzlich Raupenketten, so verliert man das Gefühl des direkten Bodenkontakts, es ist, als fahre man ein Auto oder einen Panzer. Ist der Sendling ein Riese von der

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