Frieden auf Erden
bleiben, solange es ging, denn jede Sekunde brachte den Mikropen, die mir wie ein Wespenschwarm folgten, eine Unmenge Beobachtungen. Tottentanz überzeugte mich davon, daß von einer wirksamen Verteidigung ohnehin keine Rede sein konnte. Ich sollte in ein totes und dennoch todbringendes Revier eindringen und unvermeidlich scheitern, alle Hoffnung aber lag darin, daß man aus diesem Scheitern Lehren ziehen konnte. Die ersten Kundschafter hatten aus leicht begreiflichen psychologischen Gründen auf Waffenbesitz bestanden. Schließlich macht es Mut, in einer Notlage den Finger am Abzug haben zu können. Unter meinen Lehrmeistern, die ich als reine Quälgeister ansah, befanden sich auch Psychologen. Sie sorgten dafür, daß ich mich an unliebsame Überraschungen aller Art gewöhnte. Obwohl ich wußte, daß mir nichts passieren konnte, stieg ich, scharf nach allen Seiten spähend, über den künstlichen Mond wie über eine glühende Herdplatte. Es ist ein großer Unterschied, ob man weiß, wie der eventuelle Gegner aussieht, oder ob nicht der nächste Felsblock, der lebloser wirkt als eine Leiche, plötzlich aufklafft und Feuer speit. Wenn alles das auch immer simuliert war, so war der Moment jeder dieser Überraschungen doch eher widerwärtig. Bei einem Treffer wurde die Verbindung zwischen mir und dem Sendling zwar unterbrochen, die automatische Schaltung wirkte jedoch mit einer winzigen Verzögerung, und daher machte ich viele Male das unbeschreibliche Gefühl durch, wie es ist, wenn man in Fetzen gerissen wird und mit den erlöschenden Augen des abgerissenen Kopfes die Eingeweide sieht, die einem aus dem aufgeschlitzten Bauch quellen. Sie waren aus Silizium und Porzellan, das tröstete ein wenig. Da ich solche Agonien einige dutzendmal erlebte, konnte ich mir die Attraktionen ausmalen, die mich auf dem Mond erwarteten. Zum wer weiß wievielten Male in Stücke gerissen, ging ich zu Sultzer, dem Haupt-Teletroniker, und packte ihm meine Zweifel auf den Tisch. Möglicherweise würde ich als Ganzes vom Mond zurückkehren und jede Menge zerspante LEMs dort hinterlassen, aber was nützte das eigentlich alles? Was kann man in wenigen Sekundenbruchteilen über unbekannte Waffensysteme in Erfahrung bringen? Wozu sollte überhaupt ein Mensch dort hinfliegen, wenn er sowieso nicht landen konnte?
Sultzer war ein kleiner, dürrer Mann, sein Kopf war kahl wie eine Billardkugel. »Tichy, Sie wissen doch, warum«, sagte er und schenkte mir ein Glas Sherry ein. »Von der Erde aus geht das nicht. 400 000 Kilometer Entfernung verzögern die Steuerung um fast drei Sekunden. Sie werden möglichst tief hinuntergehen, bis anderthalbtausend Kilometer ist es möglich, dort liegt die Untergrenze der Zone des Schweigens.«
»Das meine ich ja gar nicht. Wenn wir von vornherein voraussetzen, daß der Sendling keine Minute durchhält, kann man ihn von hier aus hinschicken und sein Ende von Mikropen aufzeichnen lassen.«
»Das haben wir schon gemacht.«
»Und?«
»Nichts.«
»Und die Mikropen?«
»Zeigten ein paar Staubwolken.«
»Konnte man nicht statt des Sendlings jemanden in einer anständigen Panzerung hinschicken?«
»Was verstehen Sie unter einer anständigen Panzerung?«
»Was weiß ich, meinetwegen eine Kugel, wie sie früher zur Erforschung von Tiefseegräben benutzt wurde. Mit entsprechenden Sehöffnungen, Meßgeräten und so weiter.«
»Auch so etwas ist gemacht worden. Nicht ganz so, wie Sie sagen, aber ähnlich.«
»Und?«
»Nicht ein Mucks.«
»Was ist damit passiert?«
»Nichts. Das Ding liegt bis heute dort. Die Funkverbindung ist ausgefallen.«
»Warum?«
»Das ist eine Frage für 64 000 Dollar. Wenn wir die Antwort wüßten, hätten wir Sie nicht zu bemühen brauchen.«
Derartige Gespräche wiederholten sich damals mehrfach. Nach Abschluß der zweiten Trainingsphase bekam ich frei. Schon drei Monate wohnte ich auf dem streng bewachten Stützpunkt, jetzt wollte ich der Kasernierung wenigstens für einen Abend entkommen. Um einen Passierschein zu erhalten, ging ich zum ABI (Abschirminspektor – so nannte er sich). Ich hatte ihn bisher nicht zu sehen bekommen. Ein erdfahler, trauriger Zivilist in kurzärmeligem Hemd empfing mich, er hörte sich mein Anliegen an, und seine Miene wurde noch trübseliger.
»Es tut mir sehr leid, aber ich darf Ihnen keinen Ausgang geben.«
»Was? Warum nicht?«
»Meine Befehle lauten so. Offiziell weiß ich weiter nichts.«
»Und inoffiziell?«
»Auch nichts. Wahrscheinlich
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