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Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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der Bestattungsunternehmer.
    Der Sarg war kaum einen Meter lang -- ein Zwergsarg. Dennoch kostete er etwas über sechshundert Dollar. Louis nahm an, daß er auf Böcken ruhte, aber das war wegen der Blumen nicht genau zu sehen, und er hatte nicht zu dicht herangehen wollen. Ihm war übel vom Duft all dieser Blumen.
    Am Ende des Mittelgangs, gleich neben der Tür zum Foyer, stand ein Pult mit einem Buch darauf. Am Pult war ein Kugelschreiber angekettet. Hier wurde Louis von dem Bestattungsunternehmer postiert, um ›seine Freunde und Verwandten‹ zu begrüßen.
    Von den ›Freunden und Verwandten‹ wurde erwartet, daß sie ihre Namen und Adressen in das Buch schrieben. Louis hatte nie die leiseste Ahnung gehabt, welchen Sinn dieser verrückte Brauch haben sollte, und er fragte auch jetzt nicht danach. Wahrscheinlich würde das Buch Rachel und ihm nach der Beerdigung ausgehändigt werden, und das schien ihm das Verrückteste zu sein. Irgendwo hatte er ein Jahrbuch von der High School und ein Jahrbuch vom College und ein Jahrbuch von der medizinischen Fakultät; außerdem gab es ein Hochzeitsbuch, auf dessen Kunstledereinband mit imitiertem Blattgold UNSER HOCHZEITSTAG eingeprägt war und das mit einem Photo von Rachel begann, wie sie an jenem Morgen mit Hilfe ihrer Mutter vorm Spiegel den Brautschleier anprobierte, und mit einem Photo von zwei Paar Schuhen vor einer geschlossenen Hotelzimmertür endete. Und schließlich gab es ein Baby-Buch für Ellie, in das sie jedoch schon bald keine Photos mehr eingeklebt hatten; dieses Buch -- mit Raum für MEIN ERSTER HAARSCHNITT (eine Haarlocke von Baby einkleben) und HOPPLA! (ein Photo einkleben, auf dem Baby aufs Hinterteil gefallen ist) -- war so neckisch, daß es nicht zu ertragen war.
    Und nun sollte zu all den anderen noch dieses kommen. Wie nennen wir es? fragte sich Louis, der wie betäubt neben dem Pult stand und darauf wartete, daß die Gäste eintreffen. MEIN TOTENBUCH? BEERDIGUNGSAUTOGRAMME? DER TAG, AN DEM WIR GAGE BEGRUBEN? Oder vielleicht etwas Würdevolleres, etwa EIN TODESFALL IN DER FAMILIE?
    Er klappte das Buch zu. Wie UNSER HOCHZEITSTAG war es in Kunstleder gebunden.
    Der Einband trug keine Aufschrift.
     
     
    Wie fast zu erwarten gewesen war, erschien als erste am Morgen Missy Dandridge, die gutherzige Missy, die so oft auf Ellie und Gage aufgepaßt hatte. Louis fiel ein, daß Missy auch am Abend jenes Tages, an dem Victor Pascow starb, die Kinder zu sich geholt hatte. Sie hatte die Kinder gehütet, und Rachel hatte sich seiner angenommen, zuerst in der Badewanne und dann im Bett.
    Missy hatte geweint, heftig geweint, und beim Anblick von Louis' gefaßtem, reglosem Gesicht brach sie erneut in Tränen aus und griff nach ihm -- schien nach ihm zu tasten. Louis schloß sie in die Arme, weil ihm klar wurde, daß es auf diese Weise funktionierte oder zumindest funktionieren sollte -- eine Art menschlicher Ladung, die ausgetauscht wurde und die harte Erde des Verlustes lockerte, sie belüftete, den steinigen Acker des Schocks mit der Wärme des Kummers aufbrach.
    Es tut mir so leid, sagte Missy und wischte sich das dunkelblonde Haar aus dem nassen Gesicht. So ein süßer, kleiner Junge. Ich habe ihn so sehr geliebt, Louis. Es tut mir so leid, es ist eine entsetzliche Straße, ich hoffe nur, sie stecken diesen Lastwagenfahrer für immer ins Gefängnis, er ist viel zu schnell gefahren, er war so süß, so lieb, so intelligent, warum hat Gott Gage zu sich gerufen, ich weiß es nicht, ich verstehe es nicht, aber es tut mir leid, es tut mir ja so leid.
    Louis tröstete sie, hielt sie in den Armen und tröstete sie. Er spürte ihre Tränen auf seinem Kragen, den Druck ihrer Brust. Sie wollte wissen, wo Rachel war, und Louis sagte ihr, daß Rachel sich ausruhte. Missy versprach, nach ihr zu sehen, und sie würde jederzeit auf Ellie achtgeben, so lange es nötig wäre. Louis dankte ihr.
    Sie wollte sich gerade abwenden, immer noch schluchzend, die Augen röter als je über ihrem schwarzen Taschentuch. Sie ging schon auf den Sarg zu, als Louis sie zurückrief. Der Bestattungsunternehmer, dessen Name Louis schon nicht mehr einfiel, hatte gesagt, die Leute sollten sich in das Buch eintragen, und er wollte verdammt sein, wenn er nicht dafür sorgte, daß sie es taten.
    Bitte eintragen, geheimnisvoller Gast, dachte er und war nahe daran, laut und hysterisch zu kichern.
    Es waren Missys tränen- und kummervolle Augen, die ihn daran hinderten.
    »Missy, würden Sie sich bitte

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