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Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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eine Gänsehaut an Armen und Rücken.
    Was ist passiert? fragte er sich verwirrt und bestürzt. Sein Herz raste; seine Kopfhaut fühlte sich kühl an und schien plötzlich zu eng für seinen Schädel; er spürte das Anbranden von Adrenalin hinter seinen Augen. Die Augen von Menschen quollen bei extremer Angst tatsächlich vor, das wußte er; sie weiteten sich nicht nur, sondern quollen heraus, wenn der Blutdruck stieg und der hydrostatische Druck der Hirnflüssigkeit zunahm. Was zum Teufel ist das? Gespenster? Herrgott, es fühlt sich tatsächlich an, als hätte mich auf dieser Treppe hier eben etwas gestreift, etwas, das ich fast sehen konnte.
    Unten schlug die Gazetür gegen den Rahmen.
    Louis Creed fuhr zusammen, hätte fast aufgeschrien; dann lachte er. Es war nur eines jener psychischen Kältelöcher, durch die Leute manchmal hindurchmüssen -- nicht mehr, nicht weniger. Eine vorübergehende Absenz. Das kam vor; damit hatte es sich. Was hatte Scrooge zum Geist von Jakob Marley gesagt? »Ihr könnt ein Stückchen schlechter Kartoffel sein. Ihr habt mehr vom Unterleib als von der Unterwelt an Euch.« Und das war -- physisch wie psychisch -- zutreffender, als Dickens gewußt haben mochte. Es gab keine Geister, zumindest nicht im Bereich seiner Erfahrungen. Im Laufe seines Berufslebens hatte er zwei Dutzend Menschen für tot erklärt und bei keinem von ihnen das Entweichen einer Seele gespürt.
    Er brachte Gage in sein Zimmer und legte ihn in sein Bettchen. Doch als er seinen Sohn zudeckte, lief ihm ein Schaudern über den Rücken, und er mußte plötzlich an den »Ausstellungsraum« seines Onkels Carl denken. Einen Ausstellungsraum ohne neue Autos, ohne Fernsehgeräte mit allen technischen Raffinessen, ohne Geschirrspüler mit gläsernen Frontscheiben, hinter denen man die magischen Spülvorgänge beobachten konnte. Nur Kästen mit aufgestellten Deckeln, und über jedem ein sorgfältig verborgener Punktstrahler. Der Bruder seines Vaters war Bestattungsunternehmer.
    Gott im Himmel, woher kam dieses Schaudern? Schluß damit! Weg damit!
    Er küßte seinen Sohn und ging hinunter, um sich Ellies Bericht über ihren ersten Tag in der Schule anzuhören.

8
    An diesem Samstag, nachdem Ellie ihre erste Schulwoche hinter sich hatte und bevor die Studenten auf den Campus zurückkehrten, überquerte Jud Crandall die Straße und ging auf die Creeds zu, die auf dem Rasen saßen. Ellie war von ihrem Fahrrad abgestiegen und trank ein Glas Eistee. Gage kroch im Gras herum, untersuchte Käfer und verspeiste vielleicht sogar ein paar; er war nicht wählerisch -- ihm war es gleich, wo sein Eiweiß herkam.
    »Jud«, sagte Louis und stand auf. »Ich hole Ihnen einen Stuhl.«
    »Nicht nötig.« Jud trug Jeans, ein offenes Arbeitshemd und ein Paar grüne Stiefel. Er sah Ellie an. »Willst du immer noch wissen, wohin der Pfad führt, Ellie?«
    »Ja«! sagte Ellie und sprang auf. Ihre Augen funkelten. »George Blick in der Schule hat mir erzählt, daß da der Tierfriedhof ist, und ich habe es Mommy erzählt, aber sie hat gesagt, wir sollten auf Sie warten, weil Sie wissen, wo er liegt.«
    »Ja, das weiß ich«, sagte Jud. »Und wenn es deinen Eltern recht ist, machen wir einen Spaziergang dort hinauf. Aber du mußt auch Stiefel anziehen. An manchen Stellen ist der Boden ein bißchen schlammig.«
    Ellie stürmte ins Haus.
    Jud blickte ihr mit amüsierter Zuneigung nach. »Wollen Sie auch mitkommen, Louis?«
    »Ja, gern.« Er sah Rachel an. »Und du, Liebes?«
    »Was ist mit Gage? Soweit ich weiß, ist es ein gutes Stück zu laufen.«
    »Ich stecke ihn in den Gerrypack.«
    Rachel lachte. »Okay -- aber es ist dein Rücken, Mister.«
     
     
    Zehn Minuten später brachen sie auf, alle außer Gage in Stiefeln. Gage saß im Gerrypack und blickte mit großen Augen über Louis' Schulter hinweg. Ellie lief ständig voraus, machte Jagd auf Schmetterlinge und pflückte Blumen.
    Das Gras am Ende des Feldes war fast hüfthoch, und die Goldrute blühte, diese spätsommerliche Schwatztante, die sich alljährlich des langen und breiten über den Herbst ausläßt. Aber heute lag kein Herbst in der Luft; die Sonne gehörte noch zum August, obwohl der August dem Kalender nach schon seit zwei Wochen vergangen war. Als sie, im Gänsemarsch den gemähten Pfad entlangwandernd, den Gipfel des ersten Hügels erreicht hatten, zeichneten sich unter Louis' Armen große Schweißflecke ab.
    Jud blieb stehen. Zuerst dachte Louis, der alte Mann wäre vielleicht außer

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