Friedhof der Kuscheltiere
hinauf. Auf der anderen Seite lag eine leere Fläche von vielleicht insgesamt zwei Morgen. Nein -- nicht ganz leer. Ein einsames Gebäude stand darauf, eine Art Schuppen. Gehört wohl zum Friedhof, dachte Louis. Dort bewahrten sie wahrscheinlich ihr Werkzeug auf, und was sie sonst noch brauchten.
Die Straßenlaternen leuchteten durch die vom Wind bewegten Blätter einer Reihe alter Ulmen und Ahorne, die die Fläche von der Mason Street abgrenzte. Sonst bemerkte Louis nichts, das sich bewegte.
Um nicht zu fallen und sein Knie erneut zu verletzen, rutschte er auf dem Hosenboden herunter und kehrte dann zum Grab seines Sohnes zurück. Fast wäre er über die Segeltuchrolle gestolpert. Er stellte fest, daß er zweimal würde gehen müssen, einmal mit dem Leichnam und ein zweites Mal mit dem Werkzeug. Er bückte sich, verzog das Gesicht, weil sein Rücken protestierte, und nahm die steife Segeltuchrolle in die Arme. Er spürte, wie sich Gages Leichnam darin verlagerte, und weigerte sich beharrlich, von jenem Teil seines Verstandes Notiz zu nehmen, der ihm unentwegt zuflüsterte, daß er verrückt geworden sei.
Er trug den Leichnam zu dem Hügel, in dem sich die Krypta von Pleasantview befand, deren stählerne Schiebetüren eher aussahen wie die einer Doppelgarage. Er wußte jetzt, wie er es anstellen mußte, um das zwanzig Kilo schwere Bündel, nachdem ihm sein Seil nicht mehr zur Verfügung stand, den steilen Abhang hinaufzubefördern. Zuerst trat er ein paar Schritte zurück, rannte dann auf die Steigung zu und ließ sich vom Schwung des Anlaufs so weit wie möglich hinauftragen. Er erreichte fast den Gipfel, bevor seine Füße auf dem kurzen, glatten Gras unter ihm wegrutschten, und noch im Abgleiten warf er die Segeltuchrolle so weit vorwärts, wie er konnte. Sie landete fast auf der Hügelkuppe. Er kletterte das letzte Stück hinterher, schaute sich wieder um, sah niemanden und lehnte die Rolle an den Zaun. Dann ging er, um die anderen Sachen zu holen.
Wieder auf der Hügelkuppe angelangt, zog er die Handschuhe an und deponierte Taschenlampe, Schaufel und Hacke neben der Segeltuchrolle. Dann ruhte er sich aus, den Rücken an die Zaunstäbe gelehnt, die Hände auf die Knie gestützt. Die neue Digitaluhr, die Rachel ihm zu Weihnachten geschenkt hatte, zeigte 2:01 Uhr.
Er genehmigte sich fünf Minuten Pause und warf dann die Schaufel über den Zaun. Er hörte, wie sie im Gras landete. Dann versuchte er die Taschenlampe in den Hosenbund zu stecken, aber es ging nicht. Er schob sie zwischen zwei Zaunstäben durch und lauschte, wie sie den Hügel hinabrollte; er hoffte, daß sie nicht gegen einen Stein prallte und zerbrach. Er hätte daran denken sollen, einen Rucksack mitzunehmen.
Er holte den Klebebandspender aus der Jackentasche und befestigte die Hacke an der Segeltuchrolle; er zog das Klebeband straff über das Metall und die Leinwand und umwickelte sie, bis das Band alle war. Dann steckte er den leeren Spender wieder in die Tasche. Er hob das Bündel an und wuchtete es über den Zaun (sein Rücken protestierte mit stechendem Schmerz; wahrscheinlich würde er die ganze kommende Woche für diese Nacht bezahlen müssen); dann ließ er es fallen und fuhr zusammen, als er es leise aufschlagen hörte.
Nun schwang er ein Bein über den Zaun, ergriff zwei der dekorativen Pfeilspitzen und schwang auch das andere Bein hinüber. Er glitt abwärts, stieß die Schuhspitzen in den Boden, um Halt zu finden, und ließ sich dann auf den Boden fallen.
Vorsichtig stieg er die andere Hügelflanke hinunter und tastete im Gras. Zuerst fand er die Schaufel -- das Licht der Straßenlaternen, durch die Bäume gedämpft, ließ das Blatt schwach schimmern. Dann folgten ein paar böse Minuten, weil es ihm nicht gelang, die Taschenlampe zu finden. Wie weit konnte sie im Gras gerollt sein? Er ließ sich auf Hände und Knie nieder und tastete in dem dichten Rasen herum, während Atem und Herzschlag in seinen Ohren dröhnten.
Endlich entdeckte er sie, einen schmalen, schwarzen Schatten, mehr als einen Meter von der Stelle entfernt, an der er sie vermutet hatte. Er ergriff sie, schirmte das filzbezogene Glas mit der Hand ab und schob den kleinen Gummischalter nach vorn. Seine Handfläche erhellte sich einen Augenblick, und er löschte das Licht wieder. Die Lampe war heil geblieben.
Mit seinem Taschenmesser zerschnitt er das Klebeband, das die Hacke mit der Segeltuchrolle verband, und trug dann das Werkzeug durch das Gras zu den Bäumen.
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