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Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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zuviel Balsamierungsflüssigkeit verwendet. Das Zeug war selbst im günstigsten Fall tückisch, und bei einem Kind war es fast unmöglich, abzuschätzen, ob die Menge richtig war -- oder zu groß.
    Dann begriff er, daß es nur Watte war. Er griff danach und zog sie aus Gages Mund. Die Lippen, merkwürdig schlaff und irgendwie zu dunkel und zu breit, schlossen sich mit einem schwachen, aber doch hörbaren Laut. Er warf die Watte ins Grab, wo sie auf der flachen Pfütze schwamm und widerwärtig weiß schimmerte. Jetzt war eine von Gages Wangen eingefallen wie die eines alten Mannes.
    »Gage«, flüsterte er, »ich hol dich jetzt heraus, okay?«
    Er betete, daß niemand vorbeikäme -- ein Nachtwächter vielleicht, der seine Mitternachtsrunde durch den Friedhof machte. Aber jetzt ging es nicht mehr darum, sich nicht ertappen zu lassen; wenn ihn der Strahl einer fremden Taschenlampe treffen sollte, während er hier im Grab stand und sein grausiges Werk vollbrachte, würde er den verbogenen, zerkratzten Spaten ergreifen und dem Störenfried damit den Schädel spalten.
    Er schob die Arme unter Gage. Der Körper rollte knochenlos hin und her, und plötzlich überkam ihn die entsetzliche Gewißheit: wenn er Gage hochhob, würde sein Körper zerfallen, und er würde nur noch einzelne Glieder vor sich haben. Er würde dastehen, die Füße auf den Kanten des Grabeinsatzes, und schreien. Und so würde man ihn finden.
    Mach weiter, du Feigling, mach weiter und bring es hinter dich!
    Er schob die Arme unter Gage, registrierte die übelriechende Feuchte und hob ihn dann heraus, wie er ihn so oft aus seinem abendlichen Bad herausgehoben hatte. Louis sah den grinsenden Ring der Stiche, die Gages Kopf auf seinen Schultern hielten.
    Keuchend und unter krampfhaften Zuckungen seines Magens, der gegen den Gestank und die knochenlose Schlaffheit von Gages erbärmlich zerschmettertem Körper revoltierte, holte Louis den Leichnam aus dem Sarg heraus. Endlich saß er am Rand des Grabes, den Leichnam im Schoß, die Beine in der Grube, das Gesicht von bleierner Farbe, die Augen schwarze Löcher, der Mund zu einem zitternden Bogen aus Grausen, Mitleid und Kummer verzerrt.
    »Gage«, sagte er und begann den Jungen in den Armen zu wiegen. Gages Haar lag an Louis' Handgelenk, leblos wie Draht. »Gage, es kommt alles wieder in Ordnung, ich schwöre es dir, Gage, es kommt alles in Ordnung, bald ist es überstanden, nur noch diese Nacht, bitte. Gage, ich liebe dich. Gage, dein Daddy liebt dich.«
    Louis wiegte seinen Sohn.
     
     
    Viertel vor zwei war Louis bereit, den Friedhof zu verlassen. Das Hantieren mit dem Leichnam war das Schlimmste gewesen -- der Teil des Werkes, bei dem sein Verstand, der innere Astronaut, am weitesten draußen im leeren Raum zu schweben schien. Und dennoch hatte er jetzt, als er ausruhte und die erschöpften Muskeln in seinem schmerzhaft pochenden Rücken zerrten und zuckten, das Gefühl, den Rückweg schaffen zu können. Den ganzen Rückweg.
    Er legte Gages Leichnam auf die Segeltuchplane und rollte ihn darin ein. Er sicherte die Plane mit langen Streifen Klebeband, dann schnitt er das Seil in zwei Hälften und band die Enden säuberlich zusammen. Wieder sah es aus, als hätte er einen zusammengerollten Teppich bei sich, nicht mehr. Er schloß den Sarg; nach kurzem Überlegen öffnete er ihn wieder und legte den verbogenen Spaten hinein. Mochte Pleasantview dieses Andenken behalten; seinen Sohn behielt es nicht. Er schloß den Sarg wieder und senkte dann die eine Hälfte des Deckels ab. Er dachte daran, die andere Hälfte einfach umstürzen zu lassen, fürchtete jedoch, sie könnte hörbar zerbrechen. Stattdessen fädelte er seinen Gürtel durch die Eisenringe und ließ mit seiner Hilfe das Betonrechteck vorsichtig abwärts gleiten. Dann ging er daran, das Loch wieder zuzuschaufeln. Es war nicht genug Erde da, um das Grab ganz zu füllen. Nie war dazu genug Erde da. Vielleicht fiel jemandem auf, daß das Grab eingesunken aussah. Vielleicht auch nicht. Vielleicht bemerkte es jemand und dachte sich nichts dabei. Er gestattete sich jedenfalls nicht, in dieser Nacht darüber nachzudenken oder sich Sorgen zu machen -- dafür stand ihm noch zu viel bevor. Noch mehr von diesem wüsten Werk. Und er war sehr müde.
    Hey-ho, let's go.
    Der Wind wurde stärker, er heulte durch die Bäume, so daß Louis sich nervös umsah. Dann legte er die Schaufel, die Hacke, die er später brauchen würde, die Handschuhe und die Taschenlampe neben

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