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Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Das ist nicht drin bei der Eisenbahn -- nicht in dieser Nacht.
    Er stand auf, sehr mühsam, weil die Steife auch seinen Rücken ergriffen hatte, und ging an den Apparat.
    Es war Rachel.
    »Jud? Ist er nach Hause gekommen?«
    »Nein«, sagte Jud. »Rachel, wo sind Sie? Ihre Stimme klingt näher.«
    »Ich bin auch näher«, sagte Rachel. Und obwohl ihre Stimme tatsächlich näher klang, war ein fernes Rauschen in der Leitung. Das Rauschen des Windes an dem Ort, an dem sie sich befand. Der Wind war stürmisch heute nacht. Es war ein Geräusch, das Jud immer an leblose Stimmen erinnerte, die irgendwo im Chor seufzten, vielleicht auch sangen, aber eine Spur zu weit entfernt, um verständlich zu sein. »Ich bin in der Raststätte in Biddeford an der Maine-Schnellstraße.«
    »In Biddeford!«
    »Ich konnte nicht in Chicago bleiben. Es ging mir auf die Nerven. Was immer es war, das Ellie zusetzte -- es hat auch mir zugesetzt. Und Sie spüren es auch. Man hört es Ihnen an.«
    »Schon möglich.« Er zog eine Chesterfield aus der Packung und steckte sie in den Mundwinkel. Er riß ein Streichholz an und sah die Flamme tanzen, weil seine Hand zitterte. Seine Hände hatten noch nie gezittert -- jedenfalls nicht, bevor dieser Alptraum begonnen hatte. Von draußen hörte er die Böen des dunklen Sturms, der das Haus in die Hand nahm und schüttelte.
    Seine Macht wächst. Ich spüre es.
    Dumpfes Entsetzen in seinen alten Knochen. Es war wie gesponnenes Glas, zart und zerbrechlich.
    »Jud, bitte, sagen Sie mir, was vorgeht!«
    Wahrscheinlich hatte sie ein Recht darauf, es zu wissen -- sie mußte es wissen. Und wahrscheinlich würde er es ihr erzählen. Er würde ihr zeigen, wie die Kette geschmiedet worden war, Glied um Glied. Normas Herzanfall, der Tod des Katers, Louis' Frage -- hat schon jemand einen Menschen dort oben begraben? -- Gages Tod. Gott allein wußte, an welchem weiteren Glied Louis jetzt gerade schmiedete. Später würde er es ihr erzählen. Aber nicht am Telefon.
    »Wieso sind Sie auf der Schnellstraße, Rachel, und nicht im Flugzeug?«
    Sie berichtete, wie sie in Boston ihren Anschluß verpaßt hatte. »Ich habe einen Wagen von Avis, aber ich komme nicht so schnell voran, wie ich dachte. Ich habe zwischen dem Flughafen und der Schnellstraße etwas Zeit verloren, und jetzt habe ich gerade erst die Grenze von Maine hinter mir. Ich glaube nicht, daß ich vor Tagesanbruch da sein kann. Aber, Jud -- bitte, sagen Sie mir, was vorgeht. Ich habe solche Angst, und ich weiß nicht einmal, warum.«
    »Hören Sie zu, Rachel«, sagte Jud. »Fahren Sie weiter nach Portland und machen Sie dort Pause. Gehen Sie in ein Motel und...«
    »Jud, ich kann nicht...«
    »Schlafen Sie ein paar Stunden. Regen Sie sich nicht auf. Vielleicht tut sich hier heute nacht etwas, vielleicht auch nicht. Und wenn sich etwas tut -- wenn es das ist, was ich denke --, dann ist es ohnehin besser, wenn Sie nicht hier sind. Ich denke, ich kann es unterbinden. Ich muß es unterbinden, weil das, was sich tut, meine Schuld ist. Wenn nichts passiert, dann sind Sie am Nachmittag hier, und alles ist in schönster Ordnung. Und Louis wird glücklich sein, Sie wiederzusehen.«
    »Ich kann einfach nicht schlafen heute nacht, Jud.«
    »Ja«, sagte er und mußte daran denken, daß er dasselbe geglaubt hatte -- und wahrscheinlich hatte das auch Petrus geglaubt, in der Nacht, in der Jesus gefangengenommen wurde. Beim Wachdienst geschlafen. »Doch, Rachel, das können Sie. Wenn Sie hinterm Lenkrad dieses verdammten Mietwagens einschlafen und von der Straße abkommen und dabei draufgehen -- was wird dann aus Louis? Und aus Ellie?«
    »Sagen Sie mir, was vorgeht! Wenn ich es weiß, Jud, dann folge ich vielleicht Ihrem Rat. Aber ich muß es wissen!«
    »Wenn Sie in Ludlow sind, kommen Sie zu mir«, sagte Jud. »Gehen Sie nicht in Ihr Haus. Kommen Sie zuerst zu mir. Ich erzähle Ihnen alles, was ich weiß. Und ich halte Ausschau nach Louis.«
    »Ich muß es wissen«, sagte sie.
    »Nein, Madam. Nicht am Telefon. Das tue ich nicht. Das kann ich nicht. Fahren Sie weiter nach Portland und machen Sie dort Pause.«
    Ein langes, nachdenkliches Schweigen folgte.
    »Also gut«, sagte sie endlich. »Vielleicht haben Sie recht, Jud. Aber sagen Sie mir wenigstens eines. Sagen Sie mir, wie schlimm es ist.«
    »Ich werde damit fertig«, sagte Jud ruhig. »Es ist so schlimm, wie es nur werden konnte.«
    Draußen tauchten die Scheinwerfer eines Wagens auf und bewegten sich langsam vorwärts.

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