Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
Jud erhob sich halb von seinem Stuhl und setzte sich erst wieder, als der Wagen hinter dem Haus der Creeds wieder beschleunigte und außer Sicht kam.
    »Also gut«, sagte sie. »Dieses letzte Stück der Strecke hat wie ein Stein auf mir gelegen.«
    »Lassen Sie den Stein herunterrollen, Rachel«, sagte Jud. »Bitte. Sparen Sie Ihre Kräfte für morgen. Es wird schon alles gut gehen hier.«
    »Und Sie versprechen, mir die ganze Geschichte zu erzählen?«
    »Ja. Wir trinken ein Bier, und ich erzähle Ihnen die ganze Geschichte.«
    »Also dann auf Wiedersehen«, sagte Rachel. »Bis später.«
    »Bis später«, sagte Jud. »Wir sehen uns im Laufe des Tages.«
    Bevor sie etwas erwidern konnte, hatte Jud den Hörer aufgelegt.
     
     
    Er hatte gedacht, in der Hausapotheke wären Koffeintabletten, aber er konnte sie nicht finden. Er stellte das restliche Bier wieder in den Kühlschrank -- nicht ohne Bedauern -- und machte sich eine Tasse schwarzen Kaffee. Er nahm ihn mit an das Erkerfenster und ließ sich wieder nieder, trank Kaffee und hielt Ausschau.
    Der Kaffee und das Gespräch mit Rachel hielten ihn eine Dreiviertelstunde wach, doch dann begann er wieder einzunicken.
    Beim Wachdienst wird nicht geschlafen, Alter. Du hast zugelassen, daß es dich packte; du hast dir etwas eingehandelt, und jetzt muß du dafür bezahlen. Also schlaf gefälligst nicht auf Wache ein.
    Er zündete sich eine neue Zigarette an, inhalierte tief und hustete ein kratziges Altmännerhusten. Dann legte er die Zigarette auf die Ablage des Aschenbechers und rieb sich die Augen mit beiden Händen. Draußen dröhnte ein großer Laster vorbei; seine vollaufgeblendeten Scheinwerfer zerschnitten die stürmische, unruhige Nacht.
    Er ertappte sich dabei, daß er wieder einnickte, fuhr auf und versetzte sich mit Handfläche und Handrücken ein paar Schläge ins Gesicht, daß ihm die Ohren dröhnten. Jetzt erwachte die Angst in seinem Herzen, ein listiger Gast, ein Einbrecher im geheimen Ort.
    Es schläfert mich ein -- hypnotisiert mich. Es will nicht, daß ich wach bleibe. Weil er jetzt bald zurückkommt. Ich spüre es. Und es will mich aus dem Weg haben.
    »Nein«, sagte er grimmig. »Nichts zu machen. Hast du gehört? Ich mache der Sache ein Ende. Das ist jetzt weit genug gegangen.«
    Der Wind heulte ums Dachgesims, und die Bäume auf der anderen Straßenseite schüttelten ihre Blätter. Seine Gedanken kehrten zu jener Nacht zurück, in der sie im Kupplungsraum um den Ofen gesessen hatten; der Schuppen hatte dort gestanden, wo heute in Brewer das Möbelgeschäft von Evarts stand. Sie hatten die Nacht mit Reden verbracht, er und George und René Michaud, und jetzt war nur noch er übriggeblieben -- René war in einer stürmischen Nacht im März 1939 zwischen zwei Güterwagen zerquetscht worden, und George Chapin war erst im vergangenen Jahr an einem Herzinfarkt gestorben. Von so vielen war nur er übriggeblieben, und die Alten werden einfältig. Manchmal verkleidet sich die Einfalt als Freundlichkeit, manchmal verkleidet sie sich als Stolz -- als das Verlangen, alte Geheimnisse zu erzählen, Dinge weiterzugeben, den Inhalt eines alten Glases in ein neues zu schütten.
    Da kommt also dieser jüdische Hausierer herein und sagt: »Ich hab da was, was ihr noch nie gesehen habt. Diese Postkarten hier, es sieht aus wie Frauen in Badeanzügen, bis man mit einem feuchten Tuch darüber reibt, und dann...«
    Juds Kopf sank herab. Sein Kinn legte sich langsam, sanft auf seinen Brustkorb.
    »... sind sie so nackt wie am Tag ihrer Geburt! Aber wenn sie trocken sind, haben sie ihren Kram wieder an! Und das ist noch nicht alles! Ich habe...«
    Im Kupplungsschuppen erzählt René seine Geschichte, beugt sich vor, lächelt, und Jud hält die Flasche -- er spürt die Flasche, und seine Hände umschließen sie in der leeren Luft.
    Der Aschenkegel der Zigarette auf dem Rand des Aschenbechers wurde länger. Schließlich kippte er in den Aschenbecher hinein und brannte aus, ohne die säuberliche, an eine Rune erinnernde Form einzubüßen.
    Jud schlief.
    Und als ungefähr vierzig Minuten später die Bremslichter aufleuchteten und Louis den Honda in die Auffahrt lenkte und in die Garage fuhr, hörte Jud es nicht, er regte sich nicht und erwachte ebenso wenig, wie Petrus erwacht war, als die römischen Soldaten kamen und einen Vagabunden namens Jesus gefangennahmen.

 53
    Louis fand eine Rolle Klebeband in einer der Küchenschubladen, und ein Seil lag in der Garage neben den

Weitere Kostenlose Bücher