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Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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neuerlichen Geheul an; er gab das Arrr von sich, aber noch bevor er den richtigen Ansatz für sein RUUUU gefunden hatte, kam das Geräusch eines lauten Schlags, gefolgt von leisem Fiepen und Winseln.
    Nachdem eine Tür ins Schloß gefallen war, trat Stille ein. Das Licht an der Seitenfront von Freds Haus brannte noch einen Augenblick, dann wurde es gelöscht.
    Louis verlangte es heftig danach, im Schatten zu bleiben, zu warten. Bestimmt war es besser, zu warten, bis sich die Aufregung wieder gelegt hatte. Aber die Zeit glitt ihm davon.
    »Weiter«, murmelte er und ging.
    Er überquerte mit seinem Bündel die Straße und kehrte zu seinem Honda zurück, ohne jemanden zu sehen. Fred gab Ruhe. Er packte das Bündel mit einer Hand, holte seine Schlüssel hervor und schloß die Hecktür auf.
    Gage paßte nicht hinein.
    Louis versuchte es senkrecht, dann waagerecht, dann diagonal. Der Heckraum des Honda war zu klein. Er hätte das Bündel biegen und hineinstopfen können -- Gage hätte es nichts ausgemacht --, aber dazu konnte er sich einfach nicht überwinden.
    Los, los, wir müssen hier verschwinden, wir dürfen keine Zeit mehr verlieren.
    Aber er stand nur da, fassungslos, ratlos, das Bündel mit dem Leichnam seines Sohnes auf den Armen. Dann hörte er das Geräusch eines näherkommenden Wagens, und ohne recht zu überlegen, trug er das Bündel zur Beifahrertür, öffnete sie und ließ es auf den Sitz gleiten.
    Er schloß die Tür, lief zum Heck und schloß auch die Hecktür. Der fremde Wagen passierte die Kreuzung, und Louis hörte das Grölen betrunkener Stimmen. Er setzte sich hinters Steuerrad, startete den Wagen und wollte gerade die Scheinwerfer einschalten, als ihm ein entsetzlicher Gedanke durch den Kopf schoß. Was nun, wenn Gage verkehrtherum saß, wenn sich seine Knie- und Hüftgelenke in der falschen Richtung bogen, die eingesunkenen Augen zum Heckfenster blickten anstatt durch die Windschutzscheibe?
    Das macht doch nichts, reagierte sein Verstand mit schriller, aus der Erschöpfung aufsteigender Wut. Wirst du das endlich begreifen? Es spielt keine Rolle.
    Doch, es spielt eine Rolle. Es macht etwas. Das ist Gage da drin, kein Bündel alte Handtücher!
    Er langte hinüber, ließ seine Hände sanft über die Segeltuchplane gleiten und tastete nach den unter ihr liegenden Konturen. Er glich einem Blinden, der herauszufinden versucht, was für einen Gegenstand er vor sich hat. Endlich fand er einen Vorsprung, bei dem es sich nur um Gages Nase handeln konnte -- sie zeigte in Fahrtrichtung.
    Erst jetzt war er imstande, den Honda anzulassen und die fünfundzwanzigminütige Heimfahrt nach Ludlow anzutreten.

 52
    In dieser Nacht um ein Uhr läutete bei Jud Crandall das Telefon, es schrillte durch das leere Haus und riß ihn aus dem Schlaf. Er hatte geträumt. In seinem Traum war er wieder dreiundzwanzig gewesen und hatte mit George Chapin und René Michaud auf einer Bank im Kupplungsschuppen der Bangor und Aroostook-Gesellschaft gesessen; sie ließen eine Flasche Georgia Charger Whiskey herumgehen -- mit einem Steuerstempel veredelten Schwarzgebrannten --, während draußen ein Nordweststurm tobte und mit wildem Kreischen alles lahmlegte, was sich bewegte, das rollende Material der Bangor und Aroostook-Gesellschaft eingeschlossen. So saßen sie um den dickbäuchigen Ofen herum und tranken, sahen zu, wie sich die rotglühenden Kohlen hinter dem trüben Marienglas bewegten und rautenförmige Flammenschatten auf den Fußboden warfen, und erzählten sich jene Geschichten, die Männer jahrelang für sich behalten wie die Schätze, die Jungen unter ihren Betten verstecken -- Geschichten, die man sich für Nächte wie diese aufhebt. Wie die Glut im Ofen waren es dunkle Geschichten mit einem roten Schimmer im Zentrum, vom Wind wie von einer äußeren Hülle umgeben. Er war dreiundzwanzig, und Norma war noch sehr lebendig (obwohl sie jetzt bestimmt im Bett lag; in dieser Sturmnacht würde sie nicht damit rechnen, daß er nach Hause kam), und René Michaud erzählte eine Geschichte von einem jüdischen Hausierer in Bucksport, der...
    Und nun begann das Telefon zu läuten, und er fuhr in seinem Stuhl auf, stöhnte, weil sein Nacken steif war, fühlte eine saure, steinerne Schwere in seine Glieder fahren -- es war, dachte er, als stürzten all die Jahre zwischen dreiundzwanzig und dreiundachtzig, die ganzen sechzig Jahre, auf einmal auf ihn ein. Und diesem Gedanken folgte ein anderer auf den Fersen: Du hast geschlafen, Alter.

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