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Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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tappte ein Fuß in seichtes Wasser und sank in den darunterliegenden Schlamm ein -- Schwimmsand, wenn man Jud glauben konnte. Louis blickte herab und sah stehendes Wasser zwischen Riedgras und niedrigen, häßlichen Sträuchern mit so breiten Blättern, daß sie fast tropisch wirkten. Ihm fiel ein, daß ihm auch in jener Nacht das Licht heller vorgekommen war, elektrischer.
    Das nächste Stück ist ungefähr wie das Totholz -- Sie müssen unbeirrt und stetig weitergehen. Folgen Sie mir und blicken Sie nicht nach unten.
    Wird gemacht -- und was ich noch fragen wollte: haben Sie in Maine schon einmal solche Pflanzen gesehen? In Maine oder anderswo? Was um Himmels willen sind das für Pflanzen?
    Das ist unwichtig, Louis. Geh einfach weiter.
    Er ging weiter, richtete den Blick nur so lange auf den nassen, sumpfigen Boden, bis er das erste Grasbüschel gesichtet hatte; dann blickte er geradeaus, während sich seine Füße von einem Grasbüschel zum nächsten bewegten. Glaube ist das Akzeptieren der Schwerkraft als Postulat, dachte er; ein Satz, den er nicht in einer theologischen oder philosophischen Vorlesung gehört hatte -- ein Physiklehrer in der High School hatte ihn am Ende einer Unterrichtsstunde in den Raum gestellt, und Louis hatte ihn nie vergessen.
    Er akzeptierte die Macht des Begräbnisplatzes der Micmac, die Toten auferstehen zu lassen, und wanderte mit seinem Sohn auf den Armen ins Moor der Kleinen Götter hinein, ohne nach unten oder hinter sich zu blicken. Der Sumpf war jetzt geräuschvoller als damals im Spätherbst. Unaufhörlich quakten die Zirpfrösche im Riedgras, ein schrilles Konzert, das Louis als fremd und abstoßend empfand. Dann und wann ließen auch andere Frösche in ihren Kehlen dumpfe Gummibänder schwirren. Nach etwa zwanzig Schritten ins Moor der Kleinen Götter prallte etwas gegen ihn -- vielleicht eine Fledermaus.
    Der Bodennebel begann ihn zu umwirbein; er verdeckte zuerst seine Schuhe, dann seine Schienbeine, und hüllte ihn schließlich in eine weiß leuchtende Kapsel ein. Das Licht schien heller, ein pulsierendes Strahlen, dem Schlag eines Herzens vergleichbar. Noch nie war ihm die Natur so stark als eine Art verschmelzender Kraft vorgekommen, als eigenständiges, vielleicht sogar empfindendes Wesen. Der Sumpf war lebendig, aber nicht seiner Geräusche wegen. Hätte man von ihm verlangt, die Natur oder das Wesen dieser Lebendigkeit zu definieren -- er hätte es nicht gekonnt.Er wußte nur, daß ihr viele Möglichkeiten und Kräfte innewohnten. Von ihr umgeben, kam Louis sich sehr klein und sterblich vor.
    Dann kam ein anderes Geräusch, und auch daran erinnerte Louis sich vom letzten Mal; ein schrilles, kollerndes Gelächter, das in ein Schluchzen überging. Einen Augenblick herrschte Stille; dann wieder das Lachen -- es steigerte sich zu einem irrsinnigen Kreischen, das Louis' Blut erstarren ließ. Der Nebel umwirbelte ihn wie im Traum. Das Gelächter verklang und ließ nur das Heulen des Windes zurück, den er hörte, aber nicht mehr spürte. Natürlich nicht; dies mußte eine Art geologischer Erdmulde sein. Andernfalls würde der Wind hier eindringen und den Nebel zerfetzen -- und Louis wußte nicht, ob er das, was dann möglicherweise zum Vorschein kam, gern sehen würde.
    Es kann sein, daß Sie Geräusche hören, die wie Stimmen klingen, aber das sind die Seetaucher unten in der Gegend von Prospect. Der Schall trägt. Es ist schon merkwürdig.
    »Seetaucher«, sagte Louis und erkannte kaum den brüchigen, irgendwie geisterhaften Klang seiner eigenen Stimme. Sie klang belustigt. Gott steh mir bei, sie klang tatsächlich belustigt.
    Er zögerte einen Augenblick, ging dann weiter. Wie um ihn für sein Innehalten zu bestrafen, glitt sein Fuß vom nächsten Grasbüschel ab. Fast hätte er einen Schuh eingebüßt -- er hatte Mühe, ihn dem Zugriff des Schlamms unter dem seichten Wasser zu entziehen.
    Die Stimme -- wenn es eine Stimme war -- kam wieder, diesmal von links. Einen Augenblick später schien sie hinter ihm zu sein  -- so unmittelbar hinter ihm, wie es schien, daß er, wenn er sich umgedreht hätte, keinen halben Meter von seinem Rücken entfernt eine bluttriefende Gestalt hätte sehen können, mit entblößten Zähnen und glitzernden Augen. Aber jetzt zögerte Louis nicht. Er blickte geradeaus und ging weiter.
    Plötzlich verlor der Nebel seine Leuchtkraft, und Louis sah ein Gesicht, das tückisch und geifernd vor ihm in der Luft hing. Seine Augen, schräg wie die Augen

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