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Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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auf einem klassischen chinesischen Gemälde, waren leuchtend gelbgrau. Der Mund klaffte, nach unten verzerrt; die Unterlippe hing herunter und entblößte schwärzlichbraune Zähne, so abgenutzt, daß sie nur noch kleine Höcker waren. Aber das, was Louis am stärksten traf, waren die Ohren: es waren keine Ohren, sondern gewundene Hörner -- keine Teufelshörner, sondern Widderhörner.
    Der grausige, schwebende Kopf schien zu reden -- zu lachen. Sein Mund bewegte sich, aber die herunterhängende Unterlippe kehrte nicht zu ihrer natürlichen Form zurück. In ihren Adern pulsierte schwarzes Blut. Die Nasenlöcher weiteten sich und entließen weiße Dämpfe. Als Louis näherkam, glitt aus dem schwebenden Kopf die Zunge heraus. Sie war lang und spitz, schmutziggelb, mit abblätternden Schuppen bedeckt, und als Louis hinsah, schnellte eine dieser Schuppen hoch, sie klappte auf wie ein Schachtdeckel, und ein weißer Wurm ringelte sich heraus. Die Zungenspitze zuckte träge in der Luft, etwas unterhalb der Stelle, wo der Adamsapfel hätte sein müssen... das Ding lachte.
    Er packte Gage fester, drücke ihn an sich, wie um ihn zu beschützen, und seine Füße begannen von den Grasbüscheln abzugleiten, auf denen sie kaum Halt fanden.
    Es kann sein, daß Sie Elmsfeuer sehen -- das, was die Leute Irrlichter nennen. Es tritt in merkwürdigen Formen auf, aber das hat nichts zu besagen. Wenn Sie etwas davon sehen sollten und es Ihnen auf die Nerven geht, schauen Sie einfach anderswohin.
    Die Erinnerung an Juds Stimme in seinem Kopf verhalf ihm zu neuer Entschlossenheit. Er schritt stetig vorwärts, anfangs taumelnd, dann wieder im Gleichgewicht. Er wendete den Blick nicht ab und sah, daß das Gesicht -- wenn es ein Gesicht war und nicht lediglich ein vom Nebel und von seiner eigenen Einbildung erzeugter Schemen -- immer den gleichen Abstand von ihm zu halten schien. Und Sekunden oder Minuten später löste es sich einfach im driftenden Nebel auf.
    Das war kein Irrlicht.
    Nein, natürlich nicht. An diesem Ort wimmelte es von Geistern. Es konnte sein, daß man sich umschaute und etwas sah, das einen um den Verstand brachte. Er würde nicht daran denken. Es gab keinen Anlaß, daran zu denken. Es gab keinen Anlaß...
    Etwas kam.
    Louis blieb wie angewurzelt stehen, lauschte dem Geräusch -- diesem unerbittlichen, nahenden Geräusch. Sein Kinn fiel herunter, die Sehnen, die seinen Kiefer hielten, versagten ihren Dienst.
    Das Geräusch war mit nichts vergleichbar, das er je in seinem Leben gehört hatte -- ein lebendes, ein großes Geräusch. Nicht weit entfernt, näherkommend, brachen Äste, Unterholz knackte, zerstampft von unvorstellbaren Füßen. Der gallertartige Boden unter Louis' Füßen begann mitschwingend zu beben. Ihm wurde bewußt, daß er stöhnte
    (oh, mein Gott, großer Gott, was ist das, das da durch den Nebel kommt?)
    und Gage wieder an die Brust drückte; ihm wurde bewußt, daß die Frösche schwiegen; ihm wurde bewußt, daß die feuchte, klamme Luft einen spukhaften, widerlichen Geruch angenommen hatte, den Geruch von warmem, verdorbenem Schweinefleisch.
    Was immer es sein mochte, es war riesig.
    Louis' fassungsloses, entsetztes Gesicht kippte immer weiter in den Nacken, wie das eines Mannes, dessen Blick der Bahn einer aufsteigenden Rakete folgt. Das Ding stampfte auf ihn zu, und dann kam das Prasseln eines Baumes -- nicht eines Astes, sondern eines ganzen Baumes --, der nahebei umstürzte.
    Louis sah etwas.
    Einen Augenblick lang nahm der Nebel ein dumpfes Schiefergrau an, aber die diffuse, fast konturlose Verfärbung war an die zwanzig Meter hoch. Es war kein Schatten, kein körperloser Geist; er spürte die von ihm verdrängte Luft, vernahm das Stampfen seiner Mammutfüße, das Schmatzen des Schlamms.
    Einen Augenblick lang glaubte er hoch über sich zwei orangegelbe Funken zu sehen. Funken wie Augen.
    Dann schwächten sich die Geräusche ab. Sie entfernten sich. Zögernd quakte ein Frosch. Ein zweiter antwortete ihm. Ein dritter mischte sich ins Gespräch; ein vierter machte daraus eine Diskussionsrunde; ein fünfter, ein sechster vervollständigten sie zum Konzert. Die Geräusche, die das Ding beim Gehen machte (langsam, aber nicht stolpernd; das war vielleicht das Schlimmste daran, dieses Gefühl, daß es sich ganz bewußt bewegte), entfernten sich nach Norden. Leiser -- noch leiser -- dann Stille.
    Endlich wagte Louis wieder einen ersten Schritt. Sein Rücken und seine Schultern waren schmerzhaft verkrampft.

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