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Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Schweiß bedeckte ihn vom Hals bis zu den Knöcheln. Die ersten Moskitos des Jahres, frisch geschlüpft und hungrig, fanden ihn und ließen sich zu einem nächtlichen Mahl auf ihm nieder.
    Der Wendigo -- großer Gott, das war der Wendigo --, das Geschöpf, das durch die Wälder des Nordens wandert, das Geschöpf, das einen berühren und zum Kannibalen machen kann. Das war er. Der Wendigo -- kaum fünfzig Meter von mir entfernt.
    Er befahl sich, sich nicht lächerlich zu machen, zu sein wie Jud und über das, was man hinter dem Tierfriedhof sah oder hörte, nicht nachzudenken -- es waren Seetaucher, es waren Elmsfeuer, es war die Reservemannschaft der New Yorker Yankees. Laß es alles andere sein als die Geschöpfe, die im Zwischenreich hüpfen und kriechen und gleiten und torkeln. Laß es Gott geben, laß es Sonntagvormittage geben und lächelnde episkopalische Geistliche in leuchtend weißen Chorhemden... aber nicht diese dunklen, besudelten Schreckensbilder von der Nachtseite der Welt, in der wir leben.
    Louis ging weiter mit seinem Sohn; der Boden unter seinen Füßen wurde wieder fest. Augenblicke später stieß er auf einen gefällten Baum, dessen Krone aus dem dünner werdenden Nebel auftauchte -- ein graugrüner Staubwedel, hingeworfen von der Haushälterin eines Riesen.
    Der Baum war umgebrochen -- zersplittert --, und die Bruchstelle war so irisch, daß aus dem gelblichweißen Mark noch Saft austrat, der sich warm anfühlte, als Louis darüber hinwegstieg -- und auf der anderen Seite war eine monströse Vertiefung, aus der er sich kletternd herausarbeiten mußte; und obwohl Wacholder und niedrige Berglorbeersträucher regelrecht in den Boden gestampft waren, konnte er sich nicht zu der Überzeugung durchringen, daß es ein Fußabdruck war. Als es hinter ihm lag, hätte er sich umschauen können, aber er wollte es nicht. Er ging nur weiter, mit kalter Haut, heißem und trockenem Mund, jagendem Herzen.
    Das Schmatzen des Schlamms unter seinen Füßen hörte auf. Eine Zeitlang hörte er wieder das schwache Knistern von Kiefernnadeln. Dann kam Fels. Er hatte es beinahe geschafft.
    Das Gelände begann stärker anzusteigen. Sein Schienbein stieß schmerzhaft gegen bloßliegenden Fels. Aber das war nicht irgendein Felsbrocken. Louis streckte unsicher eine Hand aus (sein verkrampftes Ellenbogengelenk schrie kurz auf) und berührte ihn.
    Jetzt kommen Stufen. In den Fels gehauen. Folgen Sie mir einfach. Wir steigen hinauf, und dann sind wir da.
    Also begann er hinaufzusteigen; die Hochstimmung kehrte zurück und verdrängte die Erschöpfung -- zumindest ein wenig. In Gedanken zählte er die Stufen, über die er in die Kälte emporstieg, sich wieder dem Wind aussetzte, der jetzt stärker geworden war, der an seinen Kleidern zerrte und das Stück Segeltuch, in das er Gage eingehüllt hatte, flappen ließ wie ein aufgespanntes Segel.
    Wieder legte er den Kopf in den Nacken und sah das irre Gewimmel der Sterne. Er fand kein vertrautes Sternbild und wendete den Blick verstört wieder ab. Neben ihm war die Felswand, nicht glatt, sondern abgesplittert, rissig, brüchig; hier nahm sie die Form eines Bootes an, da die Form eines Dachses, dort die Form eines Männergesichts mit dichten Brauen und gerunzelter Stirn. Glatt waren nur die in den Fels gehauenen Stufen.
    Louis erreichte das Plateau. Er stand nur schwankend da, mit gesenktem Kopf, atmete keuchend ein und wieder aus. Seine Lungen fühlten sich an wie grausam zusammengeschlagene Blasen, und in seiner Seite schien ein großer Splitter zu stecken.
    Der Wind fuhr ihm durchs Haar wie ein Tänzer, dröhnte in seinen Ohren wie ein Drachen.
    Das Licht war diesmal heller; war der Himmel beim ersten Mal bedeckt gewesen, oder hatte er sich nur nicht umgesehen? Es spielte keine Rolle. Aber jetzt war es hell genug, und was er sah, ließ ihn von neuem erschauern.
    Es war wie auf dem Tierfriedhof.
    Natürlich wußtest du das, flüsterte sein Verstand, als er den Blick über die Steine wandern ließ, die einst zu Grabmälern gehört hatten. Du hast es gewußt, oder du hättest es wissen müssen -- keine konzentrischen Kreise, sondern eine Spirale...
    Ja. Hier auf diesem Felsplateau, das sein Gesicht dem kalten Sternenlicht zuwandte und der schwarzen Leere zwischen den Sternen, lag eine riesige Spirale, geschaffen von vielen Händen. Louis sah auch, daß es keine intakten Steinmale gab; jedes von ihnen war umgestürzt, als das, was darunter begraben lag, ins Leben zurückkehrte -- sich

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