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Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Toten kehren nicht zurück; es ist physiologisch unmöglich. Dieser junge Mann liegt in einem Autopsie-Schubfach in Bangor und trägt das Markenzeichen des Pathologen -- den flüchtig wieder zugenähten Y-förmigen Einschnitt. Wahrscheinlich hat der Pathologe sein Gehirn, nachdem er eine Gewebeprobe genommen hat, in die Brusthöhle gestopft und die Schädelhöhle mit Packpapier gefüllt, damit nichts heraussickert -- das ist einfacher als der Versuch, das Gehirn wieder in den Schädel einzupassen wie ein Teilchen in ein Puzzle. Onkel Carl, der Vater der armen Ruthie, hatte ihm erzählt, daß Pathologen so arbeiteten, und noch eine Menge ähnlicher Dinge, die Rachel mit ihrer Todesphobie vermutlich in helles Entsetzen versetzt hätten. Aber Pascow war nicht hier -- das war völlig ausgeschlossen. Er lag in einem Kühlfach mit einem Etikett am großen Zeh. Und dort trägt er ganz bestimmt nicht diese rote Turnhose.
    Dennoch war der Drang aufzustehen stark. Pascows Blick ruhte auf ihm.
    Er schlug die Decke zurück und setzte die Füße auf den Boden. Der gehäkelte Teppich -- ein Hochzeitsgeschenk von Rachels Großmutter -- preßte kalte Knoten in seine Fußballen. Der Traum war erstaunlich real. Er war so real, daß er nicht daran dachte, Pascow zu folgen, bis Pascow schließlich kehrtmachte und die Treppe hinabging. Der Drang, ihm zu folgen, war stark, aber er wollte sich nicht von einem lebenden Leichnam anrühren lassen. Nicht einmal im Traum.
    Aber er folgte ihm. Pascows Turnhose schimmerte.
    Sie durchquerten Wohnzimmer, Eßzimmer, Küche. Louis erwartete, daß Pascow den Schließknopf drehen und dann den Riegel an der Tür zwischen der Küche und dem Schuppen anheben würde, der als Garage für den Kombi und den Civic diente; aber Pascow tat nichts dergleichen. Anstatt die Tür zu öffnen, ging er einfach hindurch. Und Louis, der ihm zusah, dachte leicht erstaunt: Also so wird das gemacht! Beachtlich! Das müßte jeder können!
    Er versuchte es selbst -- und war leicht belustigt, als er nur auf unnachgiebiges Holz stieß. Offenbar war er ein nüchterner Realist, selbst im Traum. Er drehte den Knopf des Yale-Schlosses, hob den Riegel und trat in den Garagenschuppen. Pascow war nicht da. Louis überlegte kurz, ob Pascow vielleicht aufgehört hatte zu existieren. Das kam bei Traumgestalten oft vor; ebenso bei Örtlichkeiten -- zuerst stand man nackt am Schwimmbecken und diskutierte etwa einen Frauentausch mit David und Missy Dandridge; und im nächsten Augenblick erstieg man die Flanke eines Vulkans auf Hawaii. Vielleicht hatte er Pascow verloren, weil jetzt der zweite Akt begann.
    Doch als Louis aus der Garage trat, sah er ihn wieder; er stand im schwachen Mondlicht am Ende des Rasens -- am Anfang des Pfades.
    Jetzt kam die Furcht, drang leise ein, sickerte in die Hohlräume seines Körpers und erfüllte sie mit schmutzigem Qualm. Er wollte nicht dort hinauf. Er blieb stehen.
    Pascow blickte über die Schulter zurück, und im Mondlicht glitzerten seine Augen silbern. Louis spürte, wie ein hoffnungsloses Entsetzen durch seine Eingeweide kroch. Dieser herausstehende Knochen, das getrocknete Blut. Aber es war unmöglich, diesen Augen zu widerstehen. Dies war offensichtlich ein Traum über das Hypnotisiertwerden, über das Beherrschtwerden -- vielleicht auch über die Unmöglichkeit, etwas am Lauf der Dinge zu ändern -- so, wie es ihm unmöglich gewesen war, an der Tatsache von Pascows Tod etwas zu ändern. Man konnte zwanzig Jahre studieren und war trotzdem ratlos, wenn jemand hereingebracht wurde, der so heftig gegen einen Baum geprallt war, daß in seinem Schädel ein Fenster offenstand. Man hätte ebenso gut einen Klempner holen können, einen Regenmacher oder den Mann vom Mond.
    Und noch während ihm diese Gedanken durch den Kopf gingen, wurde er auf dem Pfad vorangezogen. Er folgte der Turnhose, die in diesem Licht das gleiche Rotbraun zeigte wie das getrocknete Blut auf Pascows Gesicht.
    Der Traum gefiel ihm nicht. Bei Gott, er gefiel ihm ganz und gar nicht. Er war zu real Die kalten Knoten im Teppich, die Tatsache, daß er nicht imstande gewesen war, durch die Schuppentür zu gehen, obwohl man doch in jedem halbwegs vernünftigen Traum durch Türen und Wände hindurchgehen konnte (oder sollte) -- und jetzt die kalte Feuchtigkeit des Taus an seinen nackten Füßen und der Nachtwind, ein bloßer Hauch, den er auf seinem Körper spürte, der nackt war bis auf seine Pyjamashorts. Als sie unter den Bäumen waren,

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