Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
klebten Kiefernnadeln an seinen Fußsohlen -- ein weiteres kleines Detail, das eine Spur wirklicher war als erforderlich.
    Hat nichts zu sagen. Hat nichts zu sagen. Ich bin zu Hause in meinem Bett. Es ist nur ein Traum, so deutlich er auch sein mag, und wie alle anderen Träume wird er am Morgen lächerlich erscheinen. Wenn ich wach bin, wird mein Verstand seine Widersprüchlichkeiten entdecken.
    Ein Zweig von einem toten Baum bohrte sich in seinen Bizeps, und er fuhr zusammen. Auf der Anhöhe vor ihm war Pascow nur ein beweglicher Schatten, und jetzt schien sich in Louis' Hirn aus dem Entsetzen ein leuchtendes Bild herauszukristallisieren: Ich folge einem toten Mann in den Wald, ich folge einem toten Mann zum Tierfriedhof hinauf, und das ist kein Traum. So wahr mir Gott helfe, das ist kein Traum. Das geschieht wirklich.
    Sie gingen an der anderen Seite des baumbestandenen Hügels hinunter. Der Pfad wand sich in trägen Kurven zwischen den Bäumen hindurch und führte dann ins Unterholz. Jetzt trug er keine Stiefel. Der Boden unter seinen Füßen zerfloß in kaltem Schlamm, der packte, hielt und nur widerstrebend losließ. Er hörte häßliche Sauggeräusche. Er spürte, wie der Schlamm zwischen seine Zehen quoll und versuchte, sie voneinander zu trennen.
    Er bemühte sich verzweifelt, an der Traumvorstellung festzuhalten.
    Es gelang ihm nicht.
    Sie erreichten die Lichtung, und der Mond segelte wieder hinter seinem Wolkenreff hervor und tauchte den Friedhof in gespenstisches Licht. Die schiefen Gedenktafeln -- Kistenbretter und Dosen, mit Vaters Blechschere geschnitten und dann zu ungefähren Rechtecken flachgehämmert, angeschlagene Schieferplatten -- ragten mit dreidimensionaler Deutlichkeit auf und warfen scharf begrenzte, schwarze Schatten.
    Pascow blieb neben KATER SMUCKY -- ER WAR GEHORSAM stehen und wandte sich zu Louis um. Das Grauen, das Entsetzen -- ihm war, als wüchsen sie in ihm, bis sein Körper ihren weichen und dennoch unerbittlichen Druck nicht mehr aushielt. Pascow grinste. Seine blutigen Lippen hatten sich von den Zähnen zurückgezogen, und das harte Mondlicht überdeckte die gesunde Straßenbaubräune mit der fahlen Blässe eines Toten, der in sein Leichentuch gehüllt werden soll.
    Er hob seinen Arm und deutete auf etwas. Louis blickte hin und stöhnte. Seine Augen öffneten sich weit, und er preßte die Fingerknöchel gegen den Mund. Er spürte Kälte auf den Wangen und begriff, daß er im Übermaß des Entsetzens zu weinen begann.
    Das Totholz, von dem Jud Crandall Ellie bestürzt zurückgerufen hatte, war zu einem Knochenhaufen geworden. Die Knochen bewegten sich. Sie wanden sich und klickten aneinander, Kiefer, Oberschenkel, Ellen, Backenzähne, Schneidezähne; er sah die grinsenden Schädel von Menschen und Tieren. Fingerknochen klapperten. Der Überrest eines Fußes bewegte seine bleichen Gelenke.
    Alles bewegte sich; es kroch...
    Pascow trat jetzt auf ihn zu, das blutige Gesicht entschlossen, und der Rest von Louis' Vernunft floß im Mondschein zu einem einzigen verzweifelten Gedanken zusammen: Du mußt schreien, damit du aufwachst, ganz gleich, ob du Rachel Ellie Gage erschreckst und das ganze Haus aufwacht die ganze Nachbarschaft du mußt schreien damit du aufwachst schreienschreienschreiendichwachwachwachschreien...
     
     
    Aber es kam nichts als ein schwaches, keuchendes Wispern. Das Geräusch, das ein kleines Kind macht, wenn es auf einer Türstufe sitzt und versucht, sich das Pfeifen beizubringen.
    Pascow kam näher, und dann sprach er.
    »Man darf die Tür nicht öffnen«, sagte Pascow. Er blickte auf Louis herab, der vor ihm kniete. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck, den Louis zuerst fälschlich für Mitleid hielt. Aber es war im Grunde kein Mitleid; es war nur eine fürchterliche Art von Geduld. Er deutete noch immer auf den Haufen knisternder Knochen. »Steigen Sie nicht darüber hinweg, Doktor, so sehr sie auch glauben, es tun zu müssen. Die Schranke wurde nicht errichtet, damit man sie durchbricht. Denken Sie daran: hier gibt es eine Macht, die stärker ist, als Sie ahnen. Eine alte, niemals ruhende Macht. Denken Sie daran.«
    Louis versuchte abermals zu schreien. Er konnte es nicht.
    »Ich komme als Freund«, sagte Pascow. Hatte er tatsächlich das Wort Freund gebraucht? Louis glaubte es nicht. Es war, als spräche Pascow in einer fremden Sprache, die Louis mit Hilfe irgendeiner Traummagie verstand -- und »Freund« kam dem Wort, das Pascow gebraucht hatte, so nahe, wie

Weitere Kostenlose Bücher