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Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition)

Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition)

Titel: Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Miller
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du Bac, das auf die Bedürfnisse meiner … hmm, konservativeren Kundschaft ausgerichtet ist. Vielleicht könnte ich ihn dort für Sie verkaufen?«
    »Wie Sie wünschen.«
    »Nein, wie Sie wünschen, Monsieur.«
    »Dann ja.« Er zuckt die Achseln. »Ja.«
    Von Charvet und seiner Werkstatt erlöst, überquert der Ingenieur die Place des Victoires und biegt in die Rue de la Feuillade ein, die in Richtung Markt und zum Haus der Monnards führt. Der Wind hat aufgefrischt. Er weht ihm den Staub ins Gesicht, so dass er niesen muss. Der neue Anzug ist nicht so warm wie der alte. Und er ist auch kein Geschenk seines toten Vaters. Jean-Baptiste drückt sich den eingepackten Hausrock an die Brust. Mit jedem Schritt wird der Gestank des Friedhofs stärker, aber er ist trotzdem mehrmals gezwungen, stehenzubleiben, nach vorn zu spähen, über die Schulter zu blicken, sich anhand eines Tors, eines Pfeilers, eines kahlen Baums, eines Steintrogs zu orientieren. Hat er sie schon einmal gesehen? Dann findet er sich plötzlich am Ende der Rue de la Fromagerie wieder. Die kleinen Läden sind zugesperrt, die Karrendeichseln zeigen zu Boden, die Pflastersteine sind feucht von Schmutzwasser. An der Ecke kniet ein Bettler, doch von ihm abgesehen ist die Straße verlassen. Der Bettler blickt auf, streift die Kapuze zurück, um seine Schwären zu zeigen, doch in seinen kühlen neuen Taschen hat Jean-Baptiste kein Kleingeld für ihn. Sie murmeln einander etwas zu (eine Entschuldigung, einen Fluch).
     
    Er isst mit den Monnards zu Abend. Ob sie erkennen, dass er getrunken hat, dass er den ganzen Tag getrunken hat? Vielleicht sind sie zu verblüfft von seinem Aufzug, um es zu bemerken. Pistazienfarbene Seide, scheint es, kann so etwas wie Erstaunen hervorrufen. Die Frauen wollen sie anfassen, trauen sich aber nicht recht. Monsieur Monnard macht ein verwirrtes Gesicht. Er zupft nachdenklich an den Ohrläppchen, als melkte er zwei winzige Euter.
    Man sitzt am Tisch. Jean-Baptiste hat keinen Appetit. Er trinkt ein paar Gläser von Monsieur Monnards Wein, der jedoch nach dem Lafitte bei Charvet nach dem schmeckt, was er ist: größtenteils Wasser.
    Nach dem Essen lädt Madame ihn ein, noch sitzen zu bleiben und Ziguette beim Pianofortespielen zuzuhören. »Als es ins Haus geschafft wurde, Monsieur, bekam ich wahrhaftig vom bloßen Zusehen Nasenbluten! Und was für ein Menschenauflauf draußen. Sie jubelten alle, als es durchs Fenster hineinbugsiert wurde. Ich habe zu meinem Mann gesagt: ›Man könnte meinen‹, habe ich gesagt, ›es würde jemand aufgehängt !‹«
    Er bleibt, in sein eigenes blassgrünes Licht getaucht, während Ziguette sich ihren Weg durch eine Melodie sucht, die er nicht kennt. Ist das Instrument überhaupt gestimmt? Kann ein solcher Klang tatsächlich beabsichtigt sein? Sie trägt ein tief ausgeschnittenes Kleid aus zitronengelber Wolle und mustert die Bewegung ihrer Hände mit konzentriert gespitztem Mund, während ein blondes Löckchen ihr in die Stirn baumelt und jedesmal wie eine Feder hüpft, wenn sie den Kopf hebt, um auf die Noten zu schauen. Er denkt an Zulima, seit zweihundert Jahren tot, Brustwarzen wie Pfirsichkerne. Die Musik verstummt. Er applaudiert mit den anderen, wird aufgefordert, sich ein zweites, ein drittes Stück anzuhören. Madame Monnard strahlt ihn an und nickt. Vor dem Beginn eines vierten Stücks steht er unbeholfen auf, behauptet, er fühle sich unpässlich, bittet, ihn zu entschuldigen.
    »Es ist doch hoffentlich nichts Ernstes?« fragt Madame.
    Er versichert ihr, dass es das nicht ist.
     
    In seinem Zimmer ist es so kalt wie am Vorabend, das heißt, ein bis zwei Grad kälter als in der Außenwelt. Er hat noch immer kein Feuerholz. Er wird mit Marie reden, wenn sie auf dem Weg zum Dachboden vorbeikommt, und sie bitten, die entsprechenden Vorkehrungen zu treffen, hält es allerdings nach allem, was er von ihr gesehen hat, für durchaus wahrscheinlich, dass sie nichts tun wird. Ein Symptom ihres Freidenkertums? Er ist sich nicht sicher – obwohl der Gedanke ihm sofort peinlich ist –, wie sehr ihm an Modernität liegt, wenn sie dazu führt, dass sein Kamin und seine Waschschüssel leer bleiben.
    Er öffnet das Päckchen, breitet den Hausrock auf dem Bett aus, legt seinen pistazienfarbenen Rock ab, faltet ihn sorgfältig zusammen und zieht den Hausrock an. Es ist ein weites Kleidungsstück. Es hüllt ihn ein. Es könnte, denkt er, auch zwei von seinem Umfang einhüllen. Und eine Mütze gibt es

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