Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition)
Ohr eines kleinen, mit Lavendel gefüllten Kissens auf ihrem Schoß.
»Was für ein schönes Zimmer das ist«, sagt Héloïse. »Elegant und gemütlich. Normalerweise hat man entweder das eine oder das andere.«
»So?« flüstert Madame.
»Ich bin keine Expertin«, sagt Héloïse und ergießt das Licht eines so generösen, so von Herzen kommenden Lächelns über die ältere Frau, dass Jean-Baptiste den Blick abwenden muss, um nicht vor Eifersucht aufzuschreien. Er nimmt die Karaffe vom Tisch, füllt zwei Gläser, gibt eines Héloïse, die es an Madame Monnard weiterreicht, die es entgegennimmt, als hätte sie noch nie ein Glas in der Hand gehabt, noch nie Rotwein gesehen.
»Sie sticken, Madame?« fragt Héloïse und deutet auf ein nicht besonders originelles Muster, das neben dem Kamin an der Wand hängt.
»Sticken?«
»Die Handarbeit, Madame. Ich habe als junges Mädchen selbst so etwas gemacht, aber es war nicht halb so ordentlich.«
»Das stammt von meiner Tochter. Meiner Tochter Ziguette.« Es ist das erstemal seit dem Angriff, dass sie es gewagt hat, in Hörweite des Ingenieurs den Namen ihrer Tochter zu erwähnen.
»Wie ich sehe, hat sie eine gute Lehrerin gehabt«, sagt Héloïse.
Madame lächelt. Reine Dankbarkeit, reine Erleichterung. Und etwas Heldenhaftes entsteht in ihr und drängt nach Ausdruck. Vom Bauch zum Herzen zum Mund. »Glauben Sie nicht, Mademoiselle«, sagt sie und packt das Kissen fester, »glauben Sie nicht, die Luft war heute ein bisschen wärmer? Wärmer als gestern?«
Héloïse nickt. »Ich glaube schon, Madame.«
Eine halbe Stunde später – eine halbe Stunde, die auf einem kleinen Strom von höflichem weiblichem Geplauder verfließt – gesellt sich ihnen Monsieur Monnard zu, der beim Hereinkommen wie immer nach irgendeinem herben, säuerlichen Präparat riecht, das bei der Messerherstellung verwendet wird. Es ist seine Frau, die beinahe eifrig Héloïse vorstellt – »Eine Freundin von Monsieur Baratte« –, doch es bleibt Jean-Baptiste überlassen, ihm mitzuteilen, dass Mademoiselle Godard im Haus wohnen wird. Darin leben wird. Mit ihm.
»Leben, Monsieur?«
»Ja.«
» Hier ?«
»Ja.«
»Im Haus?«
»Ja.«
Es ist der Augenblick, in dem Monsieur Monnard aufbegehren könnte. Der Augenblick, in dem er sich rundheraus und lauthals weigern könnte, sie beide auch nur eine Minute länger in seinem Haus zu dulden, vielleicht sogar aus der Haut fahren und auf den Ingenieur losgehen, mit ihm ringen könnte … Dann ist der Augenblick vorüber, vielleicht verschluckt von der Erinnerung an seine Tochter, die nackt und unschuldig wie ein Lamm in ihrem Bett lag, ein Stück blutbeschmiertes Messing zu Füßen. Er wischt sich etwas vom Ärmel und blickt zum Fenster, wo in der Frühlingsnacht zuckend die Feuer vom Friedhof brennen. »Aha«, sagt er. »Ich verstehe.«
Man setzt sich zu Tisch. Marie, die mit dem Tablett hereinkommt, bedient als erste Héloïse, macht bereits den Eindruck, als wäre sie stark von ihr beeindruckt. Sie beginnen mit einer Rettichsuppe. Als Hauptgang gibt es neben etwas gekochtem Gemüse und gekochten Zwiebeln röhrenförmige Stücke von grauem Fleisch in einer Sauce der gleichen Farbe.
»Ist das Aal, Madame?« fragt Héloïse, und als Madame Monnard das bestätigt, gelingt es Héloïse, ein halbes Dutzend kluger, einschlägiger Bemerkungen über Aale zu machen. »Und sie sind geheimnisvoll, Madame. Anscheinend weiß niemand, wo sie ihren Nachwuchs aufziehen.«
»Als ich ein Kind war«, sagt Madame, »habe ich sie gern in ihren Eimern auf dem Markt angeschaut. Ich habe mich immer gefragt, was wohl passieren würde, wenn ich die Hand ins Wasser stecke. Ob sie sie fressen würden.«
»Der Teufel soll sie holen«, knurrt Monsieur Monnard.
»Monsieur?« fragt Héloïse.
»Ich glaube nicht, dass ich etwas gesagt habe, Mademoiselle.«
»Mein Mann«, beginnt Madame Monnard, »hat ein großes Geschäft in der Rue des Trois Mores. Klingen, von schlicht bis ausgefallen. Père Poupart von Saint-Eustache schneidet sein Fleisch mit einem Messer meines Mannes.«
»Ich habe es gesehen, Madame. Das Geschäft. Jeder spricht davon, wie vortrefflich es ist.«
»Sie kennen Père Poupart?« fragt Madame, die offenbar im Kopf das Kunststück fertiggebracht hat, völlig zu vergessen, mit wem sie spricht.
»Wir sind uns auf der Straße begegnet, Madame.«
»Er hat eine wunderbare Rednerstimme. Meine Tochter, glaube ich, hat sich sehr daran erfreut.«
»In einer
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