Friedhof der Verfluchten
stemmen.
Die sie verfolgenden Weiber kreischten weiter. Sie wollten die Vernichtung, ihr Ende, aber noch besaß das Mädchen genügend Kraft, um dem Mob zu entkommen.
Eine besonders große Frau hatte sich bei den Verfolgerinnen an die Spitze gesetzt. Ein knochiges Mannweib, dessen Kopftuch verrutscht war und die Zeugen erkennen konnten, dass sie kaum noch Haare besaß. Ihre rechte Faust umschloss einen armdicken Holzknüppel, der wie ein Schuhanzieher nach unten breiter zulief und auch als ein Wäscheschlegel benutzt werden konnte.
Die Knochige trug Holzpantinen, schleuderte diese jedoch fort, um schneller laufen zu können. Und sie holte auf.
Modesty Blaine fieberte mit. Sie hockte dort wie auf dem Sprung, hatte sich weiter vorgebeugt, und es war ihr plötzlich egal, ob man sie sah oder nicht. Sie konnte in der Vergangenheit ja nicht getötet werden, sonst hätte sie später nicht in der Zukunft gelebt. Aber konnte sie denn in die Zeit eingreifen und das Mädchen, das ja an sich tot war, retten? Wohl kaum, nur deshalb blieb sie vorläufig noch sitzen und schaute weiter zu, was sich ihren Blicken bot.
Die Blonde hatte es schwer. Die Treffer machten ihr zu schaffen. Sie lief mehr taumelnd, und manchmal konnte Modesty einen Teil ihres Rückens sehen. Dort war das einfache Kleid zerrissen. Die scharfen Steine hatten Wunden auf der Haut hinterlassen, aus denen das Blut rann. Wenige Schritte bis zum Friedhof. Die Distanz konnte der Flüchtling gerade noch überbrücken, dann waren die anderen zur Stelle, voran die Knochige. Im Hechtsprung, der schon zirkusreif zu nennen war, warf sie sich in den Rücken des Mädchens. Ihre linke Hand verhakte sich in dem Stoff, sie riss an dem Kleid, das noch weiter zerfetzte und schlug mit dem Knüppel gleichzeitig zu.
Es war ein hässliches Geräusch, das auch Modesty Blaine hörte, und sie konnte erkennen, wie Angela die Augen aufriss, dann mitten in der Bewegung erstarrte und paralysiert zu Boden fiel, wobei sie vor den Füßen der Knochigen liegen blieb.
Die lachte hart, wild und hasserfüllt auf, bevor sie sich umdrehte, einen schmutzigen nackten Fuß auf den Körper der Bewegungslosen drückte und den Arm mit dem Knüppel anhob, wobei sie triumphierend ihren Geschlechtsgenossinen zuwinkte.
»Ich habe sie!« schrie sie dabei. »Verdammt, ich habe sie gepackt, endlich.«
Gebrüll der anderen war die Antwort. Die wilden Vetteln stürmten vor, sie schrien und lachten, ihr Triumph war perfekt, denn nun konnten sie ihren Rachedurst stillen.
Die Männer hielten sich dabei zurück. Sie kamen zwar auch, aber wesentlich langsamer, die Hauptaufgabe überließen sie den Frauen. Im Nu waren die Knochige und das am Boden liegende Mädchen durch die Körper der anderen den Blicken der zuschauenden Modesty Blaine verborgen.
Die Schrecken nahmen kein Ende. Diese Furien wollten es genau wissen. Sie schlugen.
Modesty konnte nichts erkennen, sie hörte nur das wilde Schreien, sah die gebeugten Körper und sah die Arme mit den Knüppeln auf-und niederzucken. Ihr Hass auf diese Brut steigerte sich. Er schwemmte wie eine Woge heran und überlagerte auch ihr eigentlich so klares Denken. Sie konnte nicht anders, musste einfach ihr Versteck verlassen, sprang auf und kümmerte sich nicht um ihren feigen Begleiter. Auf dem Weg zu dem Menschenpulk hin musste sie auch an dem alten Baum vorbei. Seine Äste und Zweige hingen sehr günstig. Modesty Blaine griff zu, bekam einen Ast mit beiden Händen, zu packen und riss ihn mit einem gewaltigen Ruck ab.
Jetzt hielt sie eine Waffe in ihrer Hand. Damit hetzte sie weiter. Einem Sturmwind gleich kam sie über die noch immer zuschlagenden Frauen. Auch sie hieb zu, legte all ihre Kräfte in die Schläge und versuchte zuerst, die grobknochige Frau zu erwischen und ihr den Knüppel quer durch das Gesicht zu ziehen.
Beim ersten Hieb fiel ihr noch nichts auf, da sie sich zu sehr in Rage befunden hatte. Beim zweiten jedoch, den sie quer auf die Rücken der Vetteln gezielt hatte, da merkte sie, dass sie überhaupt kein Ziel traf. Die Schläge erwischten keinen, denn die Körper waren nicht existent. Geisterscheinungen.
Als Modesty Blaine das begriff und auch durch die Masse der Leiber schreiten konnte, als wäre da gar nichts vorhanden, stöhnte sie vor Furcht und Fassungslosigkeit auf.
Das Kribbeln war auf ihrem gesamten Körper spürbar. Zum erstenmal erlebte sie so direkt die unheilvolle Magie, das Phänomen eines Treffens zwischen der Vergangenheit und der
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