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Friedhof für Verrückte

Friedhof für Verrückte

Titel: Friedhof für Verrückte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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unangenehmen Begegnungen. Er ähnelte jenen Echsen, die am Rande urzeitlicher Wälder lauern, mit schnellem Blick um sich herum Witterung aufnehmen und vorsorglich die Krallen ausfahren. Von überall droht Gefahr, keine Hoffnung, der peitschende Schwanz zuckt hin und her, nervöse Reflexe, man ist jederzeit bereit, sofort herumzuschnellen und mit einem Rascheln zu fliehen. Docs starrer Blick fand Roy und blieb aus irgendeinem Grund auf ihm haften. Roy setzte sich in seinem Stuhl gerade auf und grinste den Doc mit einem flauen Lächeln an.
    Mein Gott, dachte ich, jemand hat Roy gesehen, wie er sich mit der Kiste aus dem Staub gemacht hat. Jemand …
    »Sprechen Sie das Tischgebet«, rief Fritz. »Das Chirurgengebet – O Herr, erlöse uns von den Doktoren!«
    Doc Phillips drehte den Kopf, als wolle er eine Fliege verscheuchen. Roy sank in seinem Stuhl zusammen.
    Der Doc war aus reiner Gewohnheit erschienen. Hinter der Kantine, da draußen in der grellen Mittagssonne, schlugen Manny und ein paar andere Flöhe vor lauter Angst und Verdruß einen Salto rückwärts nach dem anderen. Der Doc war hierhergekommen, um ihnen nicht länger dabei zusehen zu müssen, oder um nach Verdächtigen Ausschau zu halten, so genau wußte man das nicht.
    Jedenfalls war er hier. Doc Phillips, der legendäre Arzt aller Filmstudios, von den frühen Tagen der handgekurbelten Kameras bis zur Geburt der Schreie und Quiekser im Tonfilm, bis zu diesem frühen Nachmittag, an dem die Erde bebte. Wenn Groc der ewige Kasper mit der Klatsche war, dann war Doc Phillips der finstere Heiler unheilbarer Egos, ein Schatten an der Wand, ein fürchterlicher Grantler in den hinteren Reihen bei Kinopremieren, rasch bei der Hand, um den Exitus eines Films zu diagnostizieren. Er war wie die Footballtrainer siegreicher Mannschaften, die an der Seitenlinie herumstehen, ohne nur ein einziges anerkennendes Lächeln zustandezubringen. Er redete nicht in Abschnitten und Worten, sondern in Kürzeln und Bruchstücken, wie von mitstenografierten Rezepten. Er kannte nur Zustimmung oder Ablehnung, dazwischen lag eisiges Schweigen.
    Er war am achtzehnten Loch dabeigewesen, als der Boss der Skylark Studios seinen letzten Ball einlochte und tot umfiel. Gerüchte wollten wissen, er sei vor der kalifornischen Küste gesegelt, als jener berühmte Verleger einen ebenso berühmten Regisseur über Bord warf, worauf dieser »bei einem Unfall« ertrank. Ich hatte Fotos von ihm gesehen, wie er an Valentinos Totenbahre stand, oder in Jeanne Eagles Krankenzimmer, oder bei einem Yachtrennen in San Diego, wo man ihn einem Dutzend Filmmoguln als Schutz gegen Hitzschlag anempfohlen hatte. Man sagte, er habe sämtliche Stars aller großen Studios mit fröhlichen Drogen vollgeknallt und sie dann hinterher wieder geheilt, in einer verschwiegenen Anstalt irgendwo in Arizona, in der Nähe von Needles. Die Ironie des Ortsnamens wurde so manches Mal kommentiert. Doc aß nur recht selten in der Kantine. Sein böser Blick verdarb das Essen. Hunde bellten ihn an, als sei er der Briefträger des Teufels. Wo immer er auftauchte, zuckten die Leute zusammen und verdrückten sich schnell.
    Doc Phillips ließ seinen Blick hier und dort auf einem unserer Gruppe ruhen. Wen er beobachtete, der entwickelte alle möglichen Ticks.
    Fritz sagte zu mir gewandt: »Er ist mit seiner Arbeit nie am Ende. Zu viele Frühgeburten hinter Atelier Nummer 5. Herzanfälle im New Yorker Büro. Oder dieser Schauspieler, der sich in Monaco mit seinem Operetten-Liebhaber erwischen läßt. Er …«
    Der mürrische Doktor ging hinter unseren Stühlen vorbei, flüsterte Stanislau Groc etwas zu, drehte sich dann wieder um und eilte nach draußen.
    Fritz schaute ihm mißmutig hinterdrein und funkelte mich dann wieder mit seinem Monokel an.
    »Oh, Meister der Zukunft, der du alles siehst, erzähle uns doch, was zum Teufel da vor sich geht!«
    Meine Wangen brannten. Schuld lähmte mir die Zunge im Mund. Ich senkte den Kopf.
    »Stuhlpolonaise«, rief jemand. Groc, der schon aufgestanden war, schaute mich an und sagte erneut: »Stühle, Stühle!«
    Alle lachten. So ging meine Verwirrung in der allgemeinen Unruhe unter.
    Nachdem sie alle kreuz und quer die Plätze getauscht hatten, fand ich mich Stanislau Groc gegenüber, dem Mann, der Lenins Stirn poliert und sein Ziegenbärtchen für die Ewigkeit hergerichtet hatte; Roy saß plötzlich neben mir.
    Groc lächelte ein umwerfendes Lächeln, ein Freund fürs Leben.
    »Wieso hatte der Doc es

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