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Friedhofskind (German Edition)

Friedhofskind (German Edition)

Titel: Friedhofskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Berlin.«
    »Nein«, sagte Siri erstaunt.
    »Aber telefonieren tun Sie mit einem. Ständig.«
    »Nicht mehr in letzter Zeit«, sagte Siri. »Der Aprikosenkuchen ist sehr gut. Wie viele Eier haben Sie in den Teig für den Boden getan?«
    Die Kinder der Katzenfrau, deren Mann noch immer nicht von seiner Montagereise zurückgekehrt war, spielten Verstecken unter dem Tisch und hinter den Grabsteinen. Amy und Jackie. Iris saß auf der Eiche, Siri konnte das Blau ihres Kleides durch das Grün der Blätter lugen sehen, und sie wusste, wie gern Iris mit Amy und Jackie gerannt wäre. Sie konnte ihr Sehnen beinahe spüren. Aber die Kinder sahen sie nicht. Irgendwann rutschte der Junge genau neben Siri aus und fiel der Länge nach hin. Aber es schien nicht ganz unabsichtlich geschehen zu sein, und als er sich aufrappelte und ihr einen Moment lang ganz nahe war, flüsterte er: »Du! Ich weiß was, das du nicht weißt. Über den jungen Fuhrmann. Amy, die weiß es auch, aber wir dürfen’s nicht sagen. Es ist was Gruseliges. Ich sag’s dir vielleicht trotzdem, weil ich dich mag. Kostet aber was.«
    »Vergiss es«, sagte Siri.
    Da streckte er ihr die Zunge raus und rannte weiter hinter seiner Schwester her, um sie zu fangen.
    Der Nächste, der versuchte, mit ihr zu reden, war Werter. Er kam herüber und bat sie um die Thermoskanne mit dem Kaffee, die bei ihr stand, obwohl eine zweite genau dort stand, wo er zuvor gesessen hatte.
    »Sie wissen, was Sie tun, ja?«, fragte er.
    »Ich denke«, sagte Siri.
    »Und ich weiß, wer Sie sind«, sagte Werter leise. »Konnten Sie was anfangen mit der weißen Schokolade?«
    Sie schluckte. Es war also nicht Lenz gewesen.
    »Frau Weiß«, sagte Werter leise. »Ich frage mich ein paar Dinge.«
    »Dann antworten Sie sich doch«, sagte Siri. »Hier ist die Thermoskanne.«
    Frau Ammerland war die Erste, die die Kuchenesser verließ, genau wie immer, diese Dinge schienen nach einem strengen Schema abzulaufen, die Kuchentafeln auf dem Friedhof waren ein Spiegel der Dorfseele. Vielleicht, dachte Siri, war das das wahre letzte Bild: keine Kreuzigung. Eine Kuchentafel.
    Lenz sah Frau Ammerland nach, und Siri folgte seinem Blick. Sie ging sehr aufrecht, pfirsichfarben, das violette Tuch wie eine Blüte um den Hals geschlungen, den Kopf mit den weißen Locken hoch erhoben. Sie ging, als wollte sie sagen: Ich weiß schon, dass ihr mir nachseht.
    Sie hatte die ganze Zeit über weder mit Siri noch mit Lenz gesprochen, es fiel Siri erst jetzt auf, sie hatte Frau Ammerland eine Weile vergessen. Als sie durchs Friedhofstor ging, stand Lenz auf und ging ihr nach. Siri blieb sitzen. Er musste allein mit ihr reden. Er holte sie vor dem Tor ein, Siri sah, wie er seinen zu langen Körper zu der kleinen, zarten Gestalt hinunterbeugte; sie war wie eine Elfe, schwerelos und luftig, eine gealterte Elfe mit der Weisheit des Universums in ihren unsichtbaren Flügeln.
    Und zum ersten Mal fragte sich Siri, weshalb Lenz nie in das blaue Haus auf dem Hügel gezogen war. Warum hatte Frau Ammerland ihn als Kind nicht zu sich geholt? Bei einer der Gelegenheiten, bei denen wieder irgendetwas schiefgegangen und er bei ihr gelandet war? Sie war stets die Retterin, die Trösterin, die Pflasterkleberin gewesen … wäre nicht alles anders gewesen, wenn sie eine Mutter geworden wäre? Hätte sie Lenz erwachsen werden lassen?
    Sie wollte aufstehen, zu den beiden gehen, doch dann blieb sie sitzen. Nein. Sie würde ihn später treffen. Er musste allein mit der alten Dame reden, so wie er manchmal allein sein musste mit Iris.
    Es war jemand anderer, der sich vom Tisch erhob, der durch die Luft fuchtelte, als wollte er eine Ansprache halten. Jemand, der nicht mehr nüchtern war. Kaminski.
    »Die Ammerland, die alte Hexe«, sagte er. »Guckt euch die an! Hält sich auch für was Besseres. Irgendwann gibt’s keinen von denen mehr hier, überhaupt keinen. Keine Leute, die glauben, dass für sie die … die Regeln nicht gelten. Keine Mörder, die frei herumlaufen, und keine Leute, die auf … auf Hügeln sitzen, während alle anderen unten wohnen. Die Ammerland, ha, sie weiß es nicht, aber die ist die Nächste auf seiner Liste. Irgendwann bringt er die auch um die Ecke, er bringt jede Frau um die Ecke, die mal was mit ihm zu tun hatte.«
    Manche am Tisch lachten angestrengt über Kaminski, andere schüttelten die Köpfe.
    »Ich finde es sehr interessant, dass Sie wissen, wer noch umgebracht wird«, sagte Siri.
    Sie spürte, wie sich die

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