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Friedhofskind (German Edition)

Friedhofskind (German Edition)

Titel: Friedhofskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Blicke der Kuchenesser, die jetzt keinen Kuchen mehr aßen, an ihr festsogen.
    »Was … was soll das heißen?«, fragte Kaminski.
    »Nichts«, antwortete Siri. »Nur das, was ich gesagt habe. Dass es interessant ist. Wer kann denn wissen, was geschieht? Ob noch jemand umgebracht wird? Eigentlich nur der Mörder.«
    Kaminski kam um den Tisch herum zu ihr herüber, baute sich vor ihr auf und sah auf sie hinab, die Arme verschränkt, breitbeinig.
    »Du«, sagte er, beugte sich dann zu ihr hinunter und wiederholte leiser: »Du. Ich würde dich immer noch schützen. Vor was auch immer. Ich kann dich gut leiden, bist ein hübsches Mädchen.« Siri verkniff sich das Lachen, sie war ungefähr zehn Jahre älter als Kaminski. »Aber das willst du ja nicht«, fuhr er fort. »Willst lieber leichtsinnig sein, willst lieber mit dem Fuhrmann zusammen rumhängen, wie zwei Jugendliche auf der Straße, lächerlich … der Moment kommt noch, Mädchen, da wirst du sehen, wie dringend du meinen Schutz brauchst.«
    Werter packte ihn an den Schultern. »Es ist gut, Kaminski«, sagte er ganz leise. »Es reicht. Setz dich.«
    »Guck dir das Grab mit dem Vogel drauf an, dem Steinvogel«, sagte Kaminski, während er umständlich seinen Campingklappstuhl zurechtschob. »Guck dir das mal genau an, Mädchen.«
    Sie ging erst, als alle gingen, es wäre einer Kapitulation gleichgekommen, früher zu gehen. Sie lobte alle Kuchen und schenkte jedem ein Lächeln, sogar Kaminski, der begriff, dass ihr Lächeln ein Angriff war. Vor dir, mein Kleiner, sagte sie ihm mit Glassplitterschärfe in den Augen, vor dir habe ich keine Angst. Du bist nur laut und nicht gefährlich; ein Kläffer. Und ich glaube nicht wirklich, dass du dazu fähig wärst, jemanden eine Klippe hinunterzustoßen; du bist viel zu feige, um irgendetwas dergleichen allein zu tun.
    Sie wanderte um die Kirche, während die Kuchenfraktionsfrauen die Kuchenreste in Kuchenschachteln packten. Die Kinder lauerten noch immer in den Friedhofsbüschen, aber sie beachtete sie nicht. Sie wollte ihnen keine Informationen abkaufen, die sie sich vermutlich ausgedacht hatten.
    Das Grab mit dem Schneehuhn sah auf den ersten Blick unverändert aus. Sie hätte es sich nicht näher angesehen, wenn Kaminski sie beobachtet hätte, aber er hatte sie schon wieder vergessen. Sie war allein auf diesem Teil des Friedhofs. Sie kniete sich hin und fuhr mit der Hand über das Schneehuhn. Und dann sah sie, dass die Erde aufgebrochen worden war. Da waren dunkle Ränder wie von Spatenstichen; jemand hatte die Grasnarbe entfernt und hinterher wieder auf das Grab gelegt, es musste eine Weile her sein, das Gras war grün bis auf eine schmale braunmatte Grenze genau dort, wo der Spaten seine Wurzeln zerstört hatte. Jemand hatte das Grab geöffnet.
    Sie spürte die stille Anwesenheit hinter sich und drehte sich um.
    Sah an einem blauen Kleid empor.
    Das lockenumrahmte Kindergesicht musterte sie nachdenklich.
    »Warum?«, flüsterte sie. »Warum hat jemand hier gegraben? War das am Ende Kaminski selber? Oder war er es? Lenz … ich will das gar nicht fragen … ist Lenz verrückt?«
    »Das«, antwortete Iris leise, »kommt auf den Standpunkt des Betrachters an.«
    Diesmal war der Pfarrer geblieben. Er stand am Tor und schüttelte Siri die Hand, so wie er allen die Hand schüttelte, die gingen – ohne, dass er Teil von irgendetwas war.
    »Warum tun Sie das?«, fragte Siri. Seine Hand war kühl und glatt in ihrer, angenehm und unverstrickt in alles.
    »Warum ich geblieben bin? Ich … mache mir Sorgen. Ich kenne dieses Dorf nicht. Ich kenne keines der Dörfer wirklich … aber hier geschehen Dinge. Dinge. Das sind ein bisschen viele Beerdigungen in letzter Zeit …« Er sah sie aufmerksam an, wie ein Lehrer eine Schülerin ansieht, und sie sah zu Boden, wie eine Schülerin, die sich ertappt fühlt. »Sie sind von außerhalb«, sagte er. »Wie ich. Sie machen die Fenster … wie sehen Sie das Dorf? Warum passiert hier so viel?«
    Siri zuckte die Schultern. »Hören Sie das Ticken?«, fragte sie und sah ihn wieder an.
    »Wie bitte?«
    »Das Dorf tickt«, sagte sie und lächelte über sein verwirrtes Gesicht. »Es ist eine Zeitbombe. Aber momentan haben wir eine Auszeit. Einen Waffenstillstand. Ich weiß noch nicht, was danach geschieht.«
    »Wir? Gehören Sie denn dazu? Sind Sie ein Teil des Dorfes?«
    »Ja und nein«, sagte Siri. »Es kommt auf den Standpunkt des Betrachters an.«
    †   †   †
    Es war seltsam,

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